Tibet-Encyclopaedia

 

   

Abbildung 1: Ahmad Shah, Herrscher von Skardu und Baltistan

 

Abbildung 2: Ahmad Ali Khan, einer der Söhne von Ahmad Shah

 Ahmad Shah (Herrscher von Skardu und Baltistan, Klein-Tibet)

Ahmad Shah (auch Ahmed Shah, Achmed Schah, tibetisch A-mad sha geschrieben) war als Mitglied der Makpon-Herrscherfamilie der letzte selbstständige Herrscher von Skardu und Baltistan vor der Eroberung des Landes durch die Dogra im Jahre 1840.  Geboren als Sohn des Königs Ali Sher Kahn (II) von Skardu, war er der zweite Herrscher in der Geschichte Baltistans, dem es gelang, die neben Skardu existierenden weiteren fünf kleinen Königreiche zu erobern und unter seine Herrschaft zu stellen. Nach der Eroberung Baltistans durch die Dogra musste er 1841 den siegreichen Feldherrn Zorawar Singh auf dessen Feldzug gegen Tibet begleiten. Er starb vermutlich im Jahr 1842/43 nach seiner Überstellung an den Dogra-Thanadar Gosaun von Skardu und der Verschleppung an den Hof des Dogra-Herrschers Gulab Singh.

Inhaltsverzeichnis

1. Quellen
2. Auseinandersetzungen mit Ladakh
3. Eroberung der übrigen Königreiche, Struktur des Landes und innere Konflikte
4. Kontakte mit William Moorcroft, der East India Company und Victor Jacquemont
4.1. Die politische Großwetterlage zu Beginn des 19. Jahrhunderts
4.2. Politische Wirren um William Moorcroft
4.3. Diplomatische Korrespondenz mit Captain Claude Martine Wade
4.4. Victor Jacquemont und Baron von Hügel
5. Begegnungen mit Godfrey Thomas Vigne zwischen 1835 und 1838
6. Einfall der Dogra aus Jammu und Verlust seiner Herrschaft
7. Verschleppung nach Tibet, Rückkehr nach Baltistan und endgültige Gefangennahme
8. Literatur

1.Quellen

Frühe Hinweise auf das Wirken von Ahmad Shah wurden schon zu seinen Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod geschrieben oder publiziert. Als älteste Quelle ist eine am 24. Juni 1817 ausgefertigte Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Tshepel Döndrub Namgyel (Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal, 1802-1837) zu nennen, in der Ahmad Shahs militärische Aktivitäten gegen Truppen aus Ladakh erwähnt werden (Schuh, S. 43-66, Schuh 1, S. 209-224). Der erste Europäer, der mit Ahmad Shah brieflichen Kontakt hatte, war William Moorcroft, der von Ladakh aus einen Schriftwechsel mit ihm führte. Erste Publikationen, in denen Ahmad Shah erwähnt wurde, erschienen in den Jahren 1834 und 1835. Sie stammen von dem Franzosen Victor Jacquemont (1801-1832) und Captain Claude Martine Wade (1794-1861). Jacquemont hielt sich 1831 in Kaschmir auf, wo ihn ein Schreiben von Ahmad Shah erreichte. Der Bericht über diesen Aufenthalt wurde 1834 veröffentlicht. Captain Wade kam 1829 in Kontakt zu Ahmad Shah, als ihm ein Schreiben dieses Herrschers aus Baltistan im indischen Ludiana überbracht wurde. 1835 veröffentlichte Captain Wade seinen Schriftverkehr mit Ahmad Shah und eine Beschreibung Baltistans. Die Quelle hierfür waren die Befragungen von Charágh Ali, dem Überbringer der Briefe von Ahmad Shah. Ahmad Shahs Name taucht auch in dem 1840 erschienenen Reisebericht des Österreichers Carl Baron von Hügel (1796-1670) auf, der Kaschmir 1835 bereiste.

Eine der wichtigsten Quellen zur Person des Ahmad Shah ist der Reisebericht des Engländers Godfrey Thomas Vigne (1801-1863), der 1835 zum ersten Mal nach Baltistan reiste und auf dieser und den Folgereisen Ahmad Shah mehrmals begegnet ist. Von Vigne stammen auch die Zeichnungen von Ahmad Shah und seines Sohnes Ahmad Ali Khan, die auf den Abbildungen 1 und 2 zu sehen sind. Vignes Reisebericht erschien 1842, also noch zu Lebzeiten von Ahmad Shah.

1854 veröffentlichte Alexander Cunningham (1814-1893) in seinem hauptsächlich Ladakh gewidmeten Werk „Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries” unter dem Titel „Gyalpos of Balti” (Cunningham, S. 35) eine Genealogie der Herrscher von Skardu, in der auch Ahmad Shah erwähnt ist. Weitere Erläuterungen zu Ahmed Shah finden sich an zahlreichen Stellen von Cunninghams Buch. Besonderes Interesse verdient der Abschnitt „Conquest of Balti“ (Cunningham, S. 314-348), den Cunningham aufgrund leider ungenannter Quellen zusammengestellt hat.
 
Weitere wichtige Quellen zur Eroberung Baltistans durch Zorawar Singh finden sich in den Werken von Hashmatullah Khan und Afridi in englischer Übersetzung:

a) Eine in persischer Sprache geschriebene Autobiographie von Ali Sher Khan (III), der als Schwiegersohn und Neffe von Ahmad Shah über Kartaksho herrschte, seinen Schwiegervater Ahmad Shah an die Angreifer verriet und Zorawar Singh bei seiner Invasion in Baltistan unterstützte (Hashmatullah Khan, S. 88-95; Afridi; S. 343-347). Das in Persisch geschriebene Original erhielt Hashmatullah Khan von Aman Ali Shah, der zur seiner Zeit Raja von Kharmang war.

b) Bericht von Ganga Ram Naqqashi an den Mahārāja Gulab Singh von Jammu und Kaschmir über seine Teilnahme an der Eroberung Baltistans (Afridi, S. 347-352).

Zu erwähnen ist hier schließlich noch die kurze Darstellung in der Chronik La-dvags rgyal-rabs (Francke, S. 131) und der Bericht von Tsheten (Tshe-brtan) aus Khalatse (Kha-la-rtse) über die Dogra-Kriege (Francke, S. 245-256). 

Eine gut lesbare Darstellung der Ereignisse um die Eroberung von Baltistan wurde von C.L. Datta in seinem Buch „Ladakh and Western Himalayan Politics“ 1973 veröffentlicht. Zahlreiche nützliche Hinweise auf das Leben von Ahmad Shah finden sich letztendlich in Petechs „The Kingdom of Ladakh.“

2. Auseinandersetzungen mit Ladakh

Der  Zeitpunkt der Geburt von Ahmad Shah ist dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zuzuordnen. Zu dieser Zeit war die von uns als Baltistan bezeichnete Region in einem Zustand, der im Unterschied zu der Regierungszeit seines großen Vorfahrens Ali Sher Khan um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und eventuell auch zu der Herrschaftszeit von dessen Söhnen Ahmad Khan und Abdal Khan, durch das Bestehen kleiner unabhängiger Herrschaftsgebiete bzw. Königreiche gekennzeichnet war, die sich wechselseitig unablässig bekriegten

Ahmad Shahs Vater trug zwar den Namen des großen Vorfahrens Ali Sher Khan, sein Herrschaftsgebiet war aber auf Skardu beschränkt. Vigne (S. 254) berichtet, dass Ali Sher Khan (II) zwei Söhne hatte, nämlich Ahmad Shah und Ghulam Shah (auch Gholam Shah und Glólam Shah geschrieben). Der erste dieser beiden Söhne erbte Skardu, während dem zweiten die Herrschaft über Parkuta übertragen wurde. Ghulam Shah wird noch in der von Captain Wade im Jahre 1835 publizierten Auflistung der Herrscher in Baltistan als Herrscher von Parkuta aufgeführt. Nach Vigne hatte Ali Sher Khan das Königreich Shigar eingenommen und Soldaten einer ladakhischen Invasionsarmee gefangen genommen. Letzteres trifft aber nur auf Ahmad Shah selbst zu und die behauptete Einnahme von Shigar mag sich auf eine Allianz zwischen dem Wesir von Shigar und Ahmad Shah beziehen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Die tatsächlichen Ereignisse, die sich hinter diesen, auf dem Hörensagen basierenden Darstellungen Vignes verbergen, lassen sich ohne weitere Quellen nicht verifizieren, wobei auch Missverständnisse von Seiten Vignes nicht auszuschließen sind.

Das erste zeitlich fassbare Ereignis, in dem Ahmad Shah als Herrscher von Skardu auftrat, datiert in das Jahr 1806. In diesem Jahr unterschrieb Ahmad Shah zusammen mit Mohammad Sultan, dem Wesir von Shigar und Azam Khan, dem Herrscher von Shigar, einen Vertrag, mit dem die Herrschaft von Azam Khan in Shigar sichergestellt wurde. Durch diesen Vertrag, der nur mit militärischen Druckmitteln zustande kam, wurde ein sechs Jahre dauernder Streit zwischen dem König Azam Khan und seinem Wesir Mohammad Sultan endgültig beigelegt (Schuh 1, S. 221).

Abbildung 3: Ausschnitt aus der Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Tshepel Döndrub Namgyel vom 24. Juni 1817, in der die Auseinandersetzungen zwischen Ahmad Shah und Ladakh beschrieben werden

Die Vorgeschichte dieses Vertrages stellt sich wie folgt dar: Der Wesir von Shigar, Mohammad Sultan, hatte im Jahr 1802 seinen eigenen König Azam Khan nach Khaplu ins Exil verjagt. Azam Khan bat daraufhin den König von Ladakh um Hilfe, der eine Armee zum Einfall in Baltistan aufstellen ließ. Die am 2. Juli 1802 marschbereiten Soldaten weigerten sich aber noch auf ladakhischem Boden angesichts der großen Hitze und der hohen Wasserstände der Flüsse, den Vormarsch sofort durchzuführen. Im Ergebnis wurden zunächst Verhandlungen mit dem Wesir von Shigar geführt, die dazu führten, dass ein militärisches Eingreifen für einige Jahre nicht erforderlich war.
 
1804 spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen Azam Khan und seinem Wesir wieder so zu, dass eine militärische Expedition von Seiten Ladakhs unausweichlich erschien. Mohammad Sultan hatte inzwischen ein Bündnis mit Skardu geschlossen. Beim Eintreffen der Krieger von Ladakh in Baltistan kam es zunächst zu einem Gefecht mit Truppen aus Skardu. Anschließend begannen die Truppen aus Ladakh eine Politik der verbrannten Erde und ließen das Umland ausplündern. Es kam daraufhin zu einer Vereinbarung zwischen Mohammad Sultan und Azam Khan, nach der der Wesir die Festung von Shigar im Jahre 1805 an Azam Khan zu übergeben hatte. Dieser Vertrag wurde auch eingehalten. Gleichwohl entstand zwischen dem Wesir und seinem König 1806 ein weiterer Konflikt, der ein erneutes Eingreifen von Truppen aus Ladakh erforderlich machte. Während die Krieger aus Ladakh die Festung von Nar belagerten, handelten die ladakhischen Truppenführer mit Ahmad Shah den oben erwähnten Friedensvertrag aus. Eines der Ergebnisse war, dass von nun an eine permanente Besatzung ladakhischer Truppen in Nar verblieb (Schuh 1, S. 217-221).

Im Jahr 1811 kam es an der Grenze von Tolti zu einem Angriff von Truppen aus Skardu gegen Kartaksho, an dem Ahmad Shah mit Sicherheit beteiligt war. Die Details dieses Konflikts werden in einer Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Tshepel Döndrub Namgyel (Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal) vom 24. Juni 1817 wie folgt geschildert (Schuh 1, S. 217-221):

„Als im Eisen-Schaf-Jahr (1811) an der Grenze der Leute von Kartaksho (Gar-dag-ša) in Tolti (Tol-ti) die Leute von Skardu (sKar-rdo) Krieg führten und von hier aus (d. i. von Ladakh) der no-no dBang-drag und der (no-no) dPal-rgyas zusammen mit einer Armee Khaplu (Kha-bu-lu) erreicht hatten, wurde sofort no-no bsTan-´dzin zum Heerführer ernannt und entsandt. Indem er den Wachturm von Kuru (Ku-ro) wie im Sturzflug einnahm, errichtet er in Bon-to eine Festung und setzte einen Vertreter über die Leute von Khaplu (Kha-bu-lu) ein. Damit erbrachte er den Dienst, dass Kuru (Ku-ro) und Gowari (Va-le) unter unsere eigene Herrschaft gebracht wurden.“

1815 unternahm Ahmad Shah einen erneuten militärischen Vorstoß gegen Khaplu und eroberte dabei zunächst Kiris. Eine Armee mit Soldaten aus Unter- und Oberladakh rückte in Klein-Tibet ein. Nono Tendzin (no-no bsTan-´dzin) marschierte mit 300 Mann bis Kiris, wo er die Festung belagerte. Als die ladakhischen Truppen die große Khanqa-Gebetshalle mit Mörsern unter Beschuss nahmen, unternahmen die moslemischen Soldaten der Festung einen Tagesausfall. Im folgenden Scharmützel tötete Nono Tendzin mit seinem Schwert einen der Angreifer und lies seine Leute zum Angriff ausschwärmen. Daraufhin flüchteten die moslemischen Soldaten in die Khanqa-Gebetshalle, womit sie gefangen waren. Ahmad Shah schloss daraufhin Frieden. Nono Tendzin setzte in Kiris und in Nar Burgvogte ein, deren Herrschaft aber nur von kurzer Dauer war. Nach dem Rückzug der Hauptarmee schnitt Ahmad Shah die in Nar verbliebenen Soldaten von jedem Nachschub ab und nahm schließlich einhundert Mann gefangen. No-no Tendzin verhandelte von Khaplu aus drei Monate lang mit Ahmad Shah. Schließlich gab dieser die Gefangenen frei und schickte sie in die Heimat zurück, wobei die ladakhische Quelle hierzu extra betont, dass man den freigelassenen Männern sogar die Kleider und die Schuhe belassen hatte. Die Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Tshepel Döndrub Namgyel (Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal) vom 24. Juni 1817 schildert dies wie folgt (Schuh 1, S. 217-221): 

„Im Holz-Schwein-Jahr (1815) wurde no-no rTa-mgrin rnam-rgyal, der blon-po von Leh, zum Heerführer ernannt und hob die Armee von Oberladakh und Unterladakh sorgfältig aus. Und zusammen mit den Soldaten aus Purig ließ er die Truppen nach Kiris (Kye-ris) vorrücken. Zu dieser Zeit marschierte no-no bsTan-´dzin zusammen mit dreihundert Männern als Vorhut von Brag nach sNa-zar. Unmittelbar, nachdem er jene Bergschulter von Pho-sna eingenommen hatte, drang er über die Weidegebiete von Kuru (Ku-ro) bis Kiris (Kye-ris) vor, wo er ein Feldlager errichtete. Als sie am Tag des 8. Kalendertages bis hin zur großen Moschee Salven abschossen, ergab sich aus der Festung von Kiris (Kye-ris) ein Tagesausfall. Da zog no-no bsTan-´dzin gegenüber dem Feind ohne Furcht sein Schwert und griff an, so dass ein Mann unter dem Schwert starb. Indem die nachdrängenden Truppen ausschwärmten, wurden die Balti (sBal-ti) militärisch besiegt und flohen in die große Moschee. Als sie dann, nicht wissend, was zu tun war, sich gegenseitig Wunden zufügten, schloss Ahmad Shah (A-mad Sha) Frieden. Nachdem (no-no bsTan-´dzin) in Kiris (Kye-ris) einen Burgvogt (mkhar-dpon) eingesetzt hatte, kehrte der Rest der Truppe zurück. Indem man auf das Abgeschnittensein der in Nar vorhandenen (Truppen von Ladakh) vertraute, unterbrach man den Weg für den Nachschub und durch Ahmad Shah (A-mad Sha), der auf den Zusammenhang von Ursache und Wirkung im Hinblick auf Tugendtaten und Sünden nicht achtete,kam es zur Gefangennahme von etwa einhundert Männern unserer Soldaten, nämlich von Leuten aus Sod, Chu-shod, Khaplu (Kha-bu-lu), Chorbat (Cho-´bar) und Nubra (lDum-ra). Hierzu hat nun no-no-bsTan-´dzin mit großem Mut und unter Einsatz seines Lebens und seiner Gesundheit, damit die Männer freigelassen wurden, sich drei Monate in Khaplu (Kha-bu-lu) aufgehalten. Indem er dreimal Leute nach Skardu (sKar-rdo) entsandte, konnte er mit zahlreichen besänftigenden und drohenden Vorgehensweisen die Männer, die (sogar) Kleider und Schuhe trugen, restlos in die Heimat zurückbringen.“

Wir wissen nicht, was als Bedingung für die Freilassung zwischen dem ladakhischen Heerführer und Ahmad Shah ausgehandelt worden war. Jedenfalls unterblieb von nun an jede militärische Einmischung Ladakhs in die inneren Verhältnisse Baltistans. Möglicherweise war dies der Preis für die Freilassung. 140 Jahre lang hatten die ladakhischen Könige mit militärischen Mitteln dafür gesorgt, dass sich in Baltistan durch eine gewaltsame Vereinigung des Landes kein militärisches Potential bilden konnte, welches für Ladakh wie zu Zeiten Ali Sher Khans gefährlich werden konnte. Diese Politik wurde nun aufgegeben. Für Ahmad Shah war damit der Weg zur Eroberung der anderen Herrschaftsgebiete Baltistans frei.

3. Eroberung der übrigen Königreiche, Struktur des Landes und innere Konflikte

Es sind bisher keine verlässlichen Quellen zu den Details von Ahmad Shahs Eroberung insbesondere der Teilkönigreiche Shigar und Khaplu bekannt geworden. Folgen wir der Darstellung von Moorcroft, der sich zu Beginn der zwanziger Jahre in Ladakh aufgehalten hat, so war die Machtübernahme der weiteren Teilreiche von Baltistan durch Ahmad Shah zu dieser Zeit schon vollzogen. Nach Moorcroft (S. 261) waren Kartaksho (Kartakshe), Khaplu (Kafalun), Kiris, Skardu (Kardo), Shigar, Rondu (Rundu) und Hasura bzw. Astor (Hasora) wie er es ausdrückte „part of the principality of Balti“, während Nagar und Hunza (Hounz) unabhängig waren. Nach Moorcroft wurden die vorstehend aufgeführten Gebiete Baltistans von eigenen Herrschern (chiefs) verwaltet, die alle dem König von Skardu (prince of Kardo) unterstanden. Wir können davon ausgehen, dass insbesondere die Unterwerfung von Shigar und Khaplu durch Ahmad Shah zwischen 1815 und 1820 stattgefunden hat. In gewisser Weise widerspricht dies den Angaben von Vigne (S. 269), wonach Ahmad Shah erklärt hat, dass Shigar elf Jahre seinen Eroberungsversuchen Stand gehalten habe. Allerdings begannen Ahmad Shahs Versuche, Shigar einzunehmen, schon vor 1815. Sie wurden bis dahin stets durch Interventionen von Seiten Ladakhs gestört. In Bezug auf den Herrscher von Hasura (Astor) merkte Moorcroft (S. 264) an: „The Raja is nominally subject to Ahmad Shah.“

Detaillierte Informationen über die Struktur der einzelnen Herrschaftsgebiete in Baltistan ergaben sich durch die Befragung von Charágh Ali, den Ahmad Shah mit einem Brief nach Indien geschickt hatte, durch Captain Claude Martine Wade im Jahre 1829 in Ludiana. Die Ergebnisse dieser Befragung veröffentlichte Wade 1835. Wade zählt unter der Kapitelüberschrift „Divisions of territory“ die einzelnen Teilgebiete Baltistans, die alle Ahmad Shah unterstanden, auf und nennt die Personen, die diese Gebiete verwalteten. Die einzelnen Teilgebiete bezeichnet er als Distrikte. Wades Darstellung gibt die politische Situation im Jahre 1829 wieder.

Abbildung 4: Distrikte von Baltistan 1829 nach Captain Wade: (1) Baraldu, (2) Parkuta, (3) Tolti, (4) Kartaksho (5) Kiris, (6) Khaplu, (7) Nagar, (8) Rondu, (9) Hasura, (10) Shigar und (11) Skardu  nach der im Jahre 1842 von John Walter nach den Angaben von Godfrey Thomas Vigne im Auftrag der East India Company erstellten Karte 

Wade (S. 595f) spricht von neun Distrikten einschließlich Skardu, zählt aber irrtümlicher Weise das von ihm ausführlich beschriebene Khaplu nicht mit, so dass ich im Folgenden von der Zählung Wades abweiche. Verglichen mit der traditionellen Aufteilung von Baltistan in sechs kleine Königreiche, war die Distriktaufteilung unter Ahmad Shah kleinteiliger.

(1) Baraldo (Wade: Baraldoh) mit dem Herrscher Suliman Khan, einem Neffen von Ahmad Shah. Auf der Karte von Vigne (Abbildung 4) taucht das nördlich von Shigar gelegene Tal des Baraldo-Flusses, durch das die traditionelle Route über Askole nach Yarkand führte, ohne die Eintragung einzelner Orte nur mit der Bezeichnung Brahal Dok auf. Die Yarkand-Route ist eingezeichnet. Für Details von Baraldo siehe Abbildung 5.

Abbildung 5: Das von Suliman Khan 1829  regierte Baraldo-Tal mit dem Baraldo-Fluss (Braldu River). Kartenausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik

 (2) Parkuta (Wade: Parkotah) mit dem Herrscher Ghulam Shah, einem Bruder von Ahmad Shah.

(3) Tolti (Wade: Taldí) mit dem Herrscher Ahmad Khan, einem Cousin von Ahmad Shah.

(4) Kartaksho (Wade: Kartákhshá) mit dem Herrscher Ali Sher Khan (III), einem Neffen von Ahmad Shah.

(5) Kiris (Wade: Karkes) mit dem Herrscher Yaqub Khan, einem Verwandten von Ahmad Shah.

(6) Khaplu (Cílú) war zunächst Skardu unterstellt. 1827 revoltierte Mehdi Khan, der Herrscher von Khaplu gegen Ahmad Shah und ging ein Bündnis mit dem König von Ladakh ein. 1829, im Jahr der Abfassung von Wades Bericht, war dieser Zustand von Ahmad Shah noch nicht verändert worden. Wade behandelte Khaplu nicht als Landesteil, der der Regierung in Skardu unterstellt war.

(7) Nagar, in nordwestlicher Richtung sieben Tagesreisen von Skardu entfernt gelegen, wurde als Lehen (Jagir) von Firoz Shah regiert.

(8) Rondu (Wade: Randoh) mit dem Herrscher Ali Khan, einem Neffen von Ahmad Shah.

(9) Astor (Wade: Hazúra) wurde von Ahmad Shahs Sohn Mohammad Shah regiert.

(10) Shigar (Wade: Shakar). Wade behandelt Shigar nicht als eigenständigen Landesteil, erwähnt aber das große Tal und den Ort im Zusammenhang mit der Behandlung der Bergfestungen in Baltistan (S. 597). Nach Wade liegt die Provinz Shigar eine halbe Tagesreise in südlicher Richtung von Skardu entfernt. Die falsche Richtungsangabe ist zweifelsfrei ein Schreibfehler, denn die Beschreibung des Tales und des Ortes (Wade spricht von „town“) trifft eindeutig auf das nordöstlich von Skardu gelegene Shigar zu. Möglicherweise wurde Shigar 1829 von Ahmad Shah wegen des jugendlichen Alters des rechtmäßigen Thronanwärters Haidar Khan von Skardu aus direkt regiert. Spätesten 1834/35 muss sich diese Situation geändert haben, denn Haidar Khan von Shigar wird im Lebensbericht von Ali Sher Khan (III) als einer der Herrscher erwähnt, die bei der Eroberung von Kartaksho in diesem Zeitraum mitwirkten (Hashmatullah Khan, Autobiographie, S. 88).

(11) Skardu (Wade: Iskardóh). Zu Skardu (Wade spricht von „The city of Iskardóh) gibt Wade nur eine allgemeine Beschreibung der Bergfestung und des Tales.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Ahmad Shah mit der Eroberung aller Landesteile keinen zentral regierten Einheitsstaat geschaffen hatte. Vielmehr regierten die Vertreter der alten Königsfamilien unter seiner Oberhoheit weiter und standen im Kriegsfall mit ihren eigenen Truppen gegebenenfalls zur Verfügung. Auch wenn diese Herrscher mit Ahmad Shah durch Heiraten verwandt waren, bedeutet dies aber keineswegs, dass sie ihm gegenüber loyal waren. Baltistan war trotz der tatsächlich ausgeübten Oberherrschaft kein Einheitsstaat, sondern eine Ansammlung kleiner und kleinster Herrschaftsgebiete, die keineswegs durch eine Verantwortung für ein gemeinsames größeres staatliches Gebilde miteinander verbunden waren.

Dies zeigt auch die vorstehend beschriebene besondere Stellung von Khaplu in den Jahren 1827-1829. Dieser Zustand muss zwar von Ahmad Shah kurz nach 1829 beendet worden sein, denn im Zusammenhang mit dem Angriff gegen Kartaksho im Jahre 1834/35 wird im Lebensbericht von Ali Sher Khan (III) nun Daulat Ali Khan von Khaplu als einer der Herrscher erwähnt, die bei der Eroberung von Kartaksho mitwirkten (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 88). Dieser Daulat Ali Khan war nicht ein quasi als Gouverneur von Ahmad Shah von außen abgesandter Verwalter, sondern der eigentliche rechtmäßige König der alteingesessenen Yabgo-Herrscherfamilie von Khaplu. Als 1812 sein Vater Yahya Khan starb, war er noch sehr jung, sodass seine beiden älteren Halbbrüder, die beide aus einer Ehe seines Vaters mit einer buddhistischen Mutter hervorgegangen waren, ihm die Herrschaft streitig machten. Der König von Ladakh sandte deshalb noch im gleichen Jahr zwei hochrangige Vertreter nach Khaplu, die in dem Streit vermittelten und dafür sorgten, dass Daulat Ali Khan mit dem Sitz in der Bergfestung Thortsi Khar als Oberherr von seinen Brüdern und den Vertretern der zwölf Hauptclane von Khaplu anerkannt wurde (Schuh 1, S. 222). Dieser Zustand muss – sicherlich nicht zur Freude von Daulat Ali Khan - von Ahmad Khan nach seiner Invasion von Khaplu zwischen 1815 und 1820 verändert worden sein. Jedenfalls wird der von Wades erwähnte Khaplu-Herrscher Mehdi Khan in der Genealogie von Hashmatullah Khan (S. XIII) als Bruder von Daulat Ali Khan aufgeführt. Vermutlich war er einer der beiden Halbbrüder, die schon 1812 Daulat Ali Khan die Herrschaft über Khaplu streitig gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund hätte Ahmad Shah wissen müssen, dass ein Angriff von außen von Daulat Ali Khan auch als Möglichkeit angesehen wurde, sich mit Hilfe der Invasoren des lästigen Oberherrn Ahmad Shah zu entledigen. Tatsächlich konnte im Jahre 1840 der aus Truppen aus Ladakh bestehende zweite Flügel der Dogra-Armee, der über Chorbat nach Baltistan einrückte, Khaplu völlig unbehelligt passieren und nach Skardu weitermarschieren, ohne dabei auch nur eine Kugel abschießen zu müssen (Bericht von Tsheten in Francke, S. 253).

Noch bedenklicher waren für Ahmad Shah die politischen Verhältnisse im Süden seines Landes, in dem an Ladakh angrenzenden Kartaksho. Hier regierte Ali Sher Khan (III), ein Schwiegersohn und Neffe von Ahmad Shah. Im Jahre 1834/35 muss es zu einem Zerwürfnis zwischen Ahmad Shah und Ali Sher Khan (III) gekommen sein. Jedenfalls berichtet Ali Sher Khan (III) selbst, dass Ahmed Shah veranlasst hatte, dass die vereinten Truppen von Ali Khan aus Rondu, Haidar Khan aus Shigar, Ghulam Khan aus Parkuta, Khuram Khan aus Kiris, Daulat Ali Khan aus Khaplu und Ahmad Khan aus Tolti gegen ihn ins Feld zogen. Ali Sher Khan (III) blieb zu diesem Zeitpunkt nichts anderes übrig, als 1835 nach Ladakh zu fliehen. Hier nahm er geheime Kontakte zu Zorawar Singh auf, der 1834 mit seinen Truppen in Purik einmarschiert war. Es kam 1835 zu einer persönlichen Begegnung mit Zorawar Singh, bei der Ali Sher Khan (III) dem Dogra-Feldherrn die Zusage machte, ihm im Falle eines Angriffs gegen Baltistan durch sein Land frei passieren zu lassen (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 88). Diese Zusage setzte voraus, dass inzwischen Gespräche zwischen Ahmad Shah und mit seinem Schwiegersohn über dessen Rückkehr nach Kharmang stattgefunden hatten. Tatsächlich kehrte Ali Sher Khan (III) 1836 nach Kharmang zurück.

Verschlimmert wurde Ahmad Shahs Lage noch durch einen Streit innerhalb seiner engsten Familie. Sein als Nachfolger vorgesehener ältester Sohn war 1835, kurz vor Vignes Ankunft in Skardu verstorben. Als rechtmäßiger Nachfolger wäre nun Mohammad Shah an der Reihe gewesen, der 1929 in Astor regiert hatte, dort aber seine Aufgabe so schlecht erfüllte, dass sein Vater ihn nach dem Tod seines ältesten Sohnes enterbte und stattdessen Mohammad Ali Khan, dessen Mutter aus dem Amacha-Herrscherhaus von Shigar stammte, als seinen Nachfolger inaugurierte. Verschärfend für die Gesamtsituation war die Tatsache, dass Mohammad Shahs Mutter aus dem Herrscherhaus von Kartaksho stammte, also mit dem ohnehin abtrünnigen Ali Sher Khan (III) eng verwandt war. Nach einem Streit mit seinem Vater verließ Mohammad Shah nach 1835 Baltistan und nahm Zuflucht in einer Dogra-Festung in Purik, wo er auf Befehl von Zorawar Singh bestens behandelt wurde (Vigne, S. 255f, Francke, S. 264) .

Im Grunde glich die Situation nun der Lage, wie sie 200 Jahre zuvor unter Abdal Khan vor der Invasion der Truppen des Moghul-Kaisers Shah Jahan im Jahre 1636 bestanden hatte. Wichtige Teile des Adels von Baltistan und Mitglieder der Herrscherfamilie von Skardu, wie z. B. der Bruder des Herrschers Adam Khan, waren damals bereit, mit den Invasoren zusammenzuarbeiten. In der gleichen Lage befand sich nun Ahmad Shah angesichts einer drohenden Invasion der Dogra, die 1835 Ladakh erobert hatten.

4. Kontakte mit William Moorcroft, der East India Company und Victor Jacquemont

4.1. Die politische Großwetterlage zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Während Ahmad Shah bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit der Konsolidierung seiner Vormachtstellung in Baltistan beschäftigt war, hatte sich das politische Umfeld im Südwesten seines Landes vollständig geändert. Auf die Etablierung eines Sikh-Reiches im Punjab durch Ranjit Singh (1780-1839) mit der Hauptstadt Lahore folgte der erste Angriff auf Jammu im Jahre 1808, welches 1816 annektiert wurde. 1822 wurde der verdienstreiche Kriegsherr Gulab Singh (1792-1857) von Ranjit Singh als Rāja von Jammu bestätigt. 1819 wurde das nördlich an Jammu angrenzende Kaschmir von Ranjit Singhs Truppen erobert. Kaschmir wurde aber nicht Gulab Singh unterstellt, sondern von Gouverneuren verwaltet, die man direkt aus Lahore nach Kaschmir schickte. Die Zusammenfügung zu einem gemeinsamen Verwaltungsgebiet unter Gulab Singh erfolgte erst 1846.

   

Abbildung 6: Der Punjab unter Ranjit Singh

 

Abbildung 7: Lage von Baltistan im Verhältnis zu Jammu, Kashmir und Ladakh

Östlich des Punjab war eine weitere Großmacht entstanden, nämlich das britische Indien der East India Company, welches sich allmählich nach Westen ausdehnte. Die Demarkationslinie zwischen dem Reich von Ranjit Singh und Britisch-Indien war der Sutlej-Fluss, der auf Abbildung 6 als Setlej R(iver) verzeichnet ist. Unmittelbar an dieser Grenzlinie in Ludiana hatten die Briten ein Verbindungsbüro für die Beziehungen zum Punjab eingerichtet, in das 1823 Captain Claude Martine Wade (1794-1861) nach über zehn Jahren aktiven militärischen Dienstes in der britischen Armee in Indien abkommandiert wurde. Wade war in Ludiana bis 1840 als „Political Agent to the Governor-General for the Affairs of the Punjab and North-West Frontier“ tätig. Er war ein geschickter Diplomat und hauptverantwortlich für die diplomatischen Beziehungen zwischen den Briten und dem Mahārāja Ranjit Singh, der in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf dem Zenit seiner Macht stand. 1827 bereiste Wade den Punjab im Auftrag von Earl Amherst, damals Governor-General of India, woraufhin ihm Amherst die gesamte politische Verantwortung für die Beziehungen der Briten mit dem Punjab übertrug. In seiner Verantwortung lag es auch, Genehmigungen für europäische Reisende, die in den Panjab bzw. nach Kaschmir reisten, zu betreuen.

      

   

Abbildung 8: Mahārāja Ranjit Singh

 

Abbildung 9: Rāja Gulab Singh

 

Abbildung 10: Lord William Henry Cavendish-Bentinck, Governor-General of India von 1828-1835

 

Abbildung 11: 1st Earl of Auckland George Eden, Governor-General of India von 1836-1842

Ahmad Shah muss nach der Eroberung von Kashmir durch die Sikhs schnell klar geworden sein, dass ihm mit Mahārāja Ranjit Singh und Rāja Gulab Sing zwei gefährliche Nachbarn entstanden waren. Von Ladakh wissen wir, dass Ranjit Singh unmittelbar nach der Eroberung von Kaschmir Emissäre nach Ladakh schickten, die den bisher dahin an die Herrscher von Kaschmir abgeführten Tribut einforderten. Ein Jahr später erschien erneut ein Abgesandter von Ranjit Singh am Königshof von Ladakh und erhob zusätzlich die Forderung, die Tributzahlung von nun an regelmäßig zu leisten (Datta, S. 81f; Petech, S. 130). Es ist nicht durch Quellen belegt, ob es gleichzeitig zu diplomatischen Kontakten zwischen Ranjit Singh und Baltistan gekommen ist. Gleichwohl wäre es angesichts der historisch bekannten Verbindungen zwischen Kaschmir und Baltistan mehr als erstaunlich, wenn ein solcher Kontakt nicht stattgefunden hätte. Betrachten wir die ablehnende Haltung, die Ahmad Shah gegenüber den Sikhs als seinen Feinden deutlich zeigte, so dürfte dieser Kontakt beiderseitig keinerlei positive Ergebnisse erbracht haben. Vermutlich wusste Ahmad Shah, dass er von Ranjit Singh und Gulab Singh außer der Ausbeutung seines Landes nichts zu erwarten hatte. Aus seinem Beutezug des Jahres 1821 gegen Ladakh, welches sich schon 1819 formal den Sikhs unterstellt hatte, kann man ohnehin ersehen, dass er keinen übermäßigen Respekt vor einer Gefahr von Seiten der Sikhs hatte. In den dreißiger Jahren schlug Gulab Singh dem Herrscher von Baltistan vor, mit ihm freundschaftliche Beziehungen einzugehen. Dieses Ansinnen schlug Ahmad Shah glattweg aus (Datta, S. 155). Gleichwohl war es ein Gebot der Klugheit, sich um Kontakte zur britischen East India Company zu bemühen, wobei Ahmad Shah nicht einschätzen konnte, dass die wirklichen Interessen dieser Großmacht die Errichtung eines britischen Protektorats Ladakh oder Baltistan nicht zulassen würden. Jedenfalls war keiner der britischen Governor-General of India daran interessiert, im Interesse der Himalaya-Region Ladakh oder des Karakorum-Kleinstaates Baltistan militärisch zu intervenieren. Dies trifft sowohl für Lord William Henry Cavendish-Bentinck (1828-1835) als auch für den 1st Earl of Auckland George Eden (1836-1842) zu, die beide den Eroberungen von Ladakh und Baltistan durch die Dogra tatenlos zusahen.

4.2. Diplomatische Wirren um William Moorcroft

William Moorcrofts zweijähriger Aufenthalt in Ladakh in den Jahren 1820-1822 ist hier in zweifacher Hinsicht von Interesse. Einerseits beleuchtete er das zweideutige Verhalten, welches die britische Verwaltung Indiens unter dem Governor-General Francis Rawdon-Hastings in Hinblick auf Ladakh einnahm, andererseits war Moorcroft der erste Europäer, der von Ladakh aus einen Schriftverkehr mit Ahmad Shah führte.

   

Abbildung 12: William Moorcroft (links) 

 

Abbildung 13: Francis Rawdon-Hastings, Governor-General of India von 1813-1823 

Moorcoft war zum Zeitpunkt seiner Reise nach Ladakh nicht nur Angestellter der East India Company. Eben diese Gesellschaft hatte ihm für seine Reise eine bezahlte Freistellung von allen Verpflichtungen für zwei Jahre gewährt, mit Einführungsschreiben in Englisch, Russisch, Persisch und Chinesisch ausgestattet, die alle das große Siegel der East India Company trugen, mit Geschenken für die Herrscher versehen, die er auf seiner Reise besuchen wollte oder sollte, und an Transporttieren sechzig Lasttiere zur Verfügung gestellt (Datta, S. 95). Baron von Hügel hat die Expedition von Moorcroft wie folgt beschrieben (von Hügel, 2. Band, S. 16f): „Im Jahre 1820 erhielt Moorcroft, welcher damals die Stelle eines Oberaufsehers des Gestütes in Bengal, Buxar gegenüber, bekleidete, den Auftrag, Central-Asien neuerdings zu bereisen. Die ostindische Kompagnie überliess, mit der ihr dazumal eigenen Freigebigkeit, die Ausrüstung der Reise gänzlich seinem Ermessen, und gestattete ihm, die Summen, deren er bedürfen würde, auf die Kompagnie zu ziehen. Moorcroft nahm zwei junge Männer mit sich, Trebeck und Guthery, und begann seine abenteuerliche Reise mit Lahor. … Unter der Maske eines Pferdehändlers zog Moorcroft, mit einem glänzenden Gefolge, über Belaspur und Mandi nach der Festung Dankar, und erreichte Ladhak.“

Es ist angesichts dieser Ausstattung von Moorcrofts Reise mehr als verwunderlich, dass die East India Company später, als die Ergebnisse dieser Reise im Verhältnis zu Ranjit Singh diplomatische Irritationen hervorriefen, diese Reise als reine Privatangelegenheit klassifizierte und sich von Moorcroft öffentlich distanzierte. Was war geschehen? Moorcroft hatte in Ladakh zunächst einen Beistandsvertrag zwischen der East India Company und der Regierung von Ladakh verhandelt, mit dem Ladakh den Antrag stellte, in die Reihe der Protektorat-Staaten der East India Company aufgenommen zu werden. Der Text dieses Vertrages war in persischer Sprache verfasst und wurde von Moorcroft als Vorschlag dem Governor-General mit der ausdrücklichen Bitte vorgelegt, man möge die Angelegenheit bei Nicht-Zustimmung bis zu seiner Rückkehr nach Indien als Geheimsache behandeln. Datta hat die Reaktion der britischen Regierung in Indien wie folgt beschrieben (S. 102): „The British Government of India not only rejected Ladakh´s offer of allegiance but also disapproved of Moorcroft´s conduct and disowned him.”

Danach folgte eine offenbar beabsichtigte öffentliche Bloßstellung Moorcrofts. Jedenfalls wurde der Fall Moorcroft als Fehlverhalten auch öffentlich herausgestellt, berichten doch sowohl Jaquemont wie auch Baron von Hügel in aller Breite – teilweise mit gewisser Häme gegenüber Moorcroft – von dieser Angelegenheit.

Wir wissen nicht, inwieweit Ahmad Shah über diesen Vorfall unterrichtet war. Jedenfalls bedeutete die politische Entscheidung des Governor-General of India Francis Rawdon-Hastings, die auch von seinen Nachfolgern weiterhin nicht revidiert wurde, dass weder Ladakh noch Baltistan im Falle eines Angriffs von Seiten der Sikhs mit britischer Unterstützung rechnen konnten.

Die grundsätzliche Frage, die hierzu in Hinblick auf Ahmad Shah gestellt werden muss, ist hier aber diese, ob er mit seinen Bemühungen, mit den Briten diplomatische Kontakte zu pflegen, eine solche Unterstützung überhaupt einwerben wollte. Ich werde auf diese Frage später noch eingehen, weil ich meine, dass dies tatsächlich zu verneinen ist.

Von der Existenz eines Schriftverkehrs zwischen Ahmad Shah und William Moorcroft wissen wir aufgrund Moorcrofts Veröffentlichung (S. 262) und durch das erste Schreiben, welches Wade von Ahmad Shah erreichte (Wade, S. 589f). Vom Inhalt dieser Schreiben ist nur bekannt, dass Moorcroft nach eventuell vorhandenen Resten griechischer Kolonisation fragte und dass Ahmad Shah hierzu keine weiterführende Antwort geben konnte.

4.3. Diplomatische Korrespondenz mit Captain Claude Martine Wade

Ahmad Shah war offenbar gut über Ereignisse in Indien informiert. So war ihm auch bekannt, dass die Briten in Ludiana ein Verbindungsbüro eingerichtet hatten und dass Captain Wade 1827 eine Reise im Auftrag des Governor-General of India in den Punjab unternommen hatte. Ahmad Shah sandte einen Boten mit einem Brief an Wade, der jedoch, wie Ahmad Shah selbst schreibt, von seinen Feinden abgefangen wurde.

Dieser Versuch von Ahmad Shah, einen Schriftverkehr mit dem Vertreter einer fremden Macht zu führen, bedarf einiger grundsätzlicher Erläuterungen. Wie wir aus der grundlegenden Studie von Siegfried Weber über das Persische als Verwaltungssprache Kaschmirs wissen, benutzten auch die Herrscher der nördlich von Kaschmir gelegenen Kleinstaaten das Persische als Schriftsprache. Dies traf mit Sicherheit auch für Baltistan zu. Von Vigne wissen wir, dass Ahmad Shah Persisch lesen und schreiben konnte (Vigne, S. 235). Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Herrschern der Region nördlich von Kaschmir wurde also in Persisch geführt. Wie solche Verbindungen zwischen den Staaten des Nordens gepflegt wurden, ist ebenfalls aus den Berichten Vignes zu entnehmen. Vigne beabsichtigte, von Baroldo aus (siehe Abbildung 5) den Mustagh Pass zu überqueren, um nach Zentralasien vorzustoßen. Zu dieser Zeit war ein Gesandter aus Hunza in Kargil eingetroffen. Diesen sandte Ahmad Shah mit einigen Begleitern und einem Schwert als Geschenk für den Herrscher von Hunza zurück, um ein sicheres Geleit für Vigne durch Hunza und die darauffolgenden Gebiete sicherzustellen. Der Bote erreichte vor der Schließung des Mustagh Passes wieder Skardu und brachte die entsprechenden Sicherheitszusagen des Hunza-Herrschers (Vigne, S. 379-382).

Gesandte oder Boten, ortsüblich Wakil genannt, spielten eine wichtige Rolle in der Kommunikation zwischen den Herrscherhäusern des Nordens von Kaschmir. Sie waren Vertrauenspersonen der Herrscher, übermittelten sie doch häufig doppelte Nachrichten, nämlich einerseits das in Persisch geschriebene Sendschreiben und anderseits eine mündliche Information, weshalb sie als Mitwisser oder eventuell auch als Geheimnisträger besondere Zuverlässigkeit besitzen mussten. Es bedurfte deshalb auch eine besondere Nähe zum Herrscher, um das Amt eines Gesandten ausüben zu können (Weber, S. 99ff). Neben dem Wakil spielte für den Schriftverkehr noch eine weitere Person eine wichtige Rolle, nämlich ein schriftkundiger Sekretär, generell Munshi genannt. Voraussetzung für dieses Amt waren natürlich gute Kenntnisse des Persischen. Dem Munshi wurde der Inhalt der Schreiben diktiert bzw. vorgegeben (Weber, S. 111). Zur Beglaubigung seiner Schriftstücke benutzte Ahmad Shah ein Siegel (Vigne, S. 255).
Im Hinblick auf Ahmad Shah sind zwei Personen bekannt, die als Wakil für ihn arbeiteten.

Der erste war Charágh Ali Sháh, der 1829 Captain Wade in Ludiana das erste Schreiben von Ahmad Shah überbrachte. Charágh Ali Khan beförderte auch die Antwort von Wade vom 22. August 1829 nach Skardu. Der gleiche Wakil hat auch Jacquemont aufgesucht. Jacquemont erwähnt ihn als Aga Sheragh Ali Shah und gibt Details zum Lebenslauf dieses Wakils (Jacquemont, S. 151f). Hiernach wurde er in Bombay als Sohn persischer Eltern geboren. Charágh Ali war schiitischen Glaubens und hatte Persien und China bereist. Danach arbeitete er in Klein-Tibet als Vertrauter und Minister für Ahmad Shah. Nach Jacquemont war Charágh Ali als wichtige Persönlichkeit Klein-Tibets in Kaschmir bekannt und dort als verlässliche Person angesehen. Was Jacquemont an Charágh Ali störte, war dessen Konsum von Opium.

Der zweite Wakil war Názim Khan (Nassim Khan, Nasim Khan). Dieser war zwar als Untergebener von Charágh Ali mit nach Kaschmir gereist, hatte aber nach der Einschätzung von Jacquemont größere diplomatische Fähigkeiten als sein Vorgesetzter. Názim hatte als Gesandter das dritte Schreiben von Ahmad Shah an Captains Wade nach Ludiana befördert. Er war es auch, der Vigne von Kaschmir aus auf dessen erster Reise nach Baltistan begleitete. Vermutlich stammte Názim vom Khyber-Pass, war also kein gebürtiger Untertan von Ahmad Shah. Vigne schätzte ihn sehr und nahm ihn später für einige Zeit nach Ludiana mit.

Das Vorstehende zeigt, dass Ahmad Shah in der Regelung seiner äußeren Beziehungen keineswegs dilettantisch vorging, sondern sich dabei weitgereister und sprachkundiger Mitarbeiter bediente.

Der Schriftverkehr zwischen Ahmad Shah und Wade wurde unter strengster Geheimhaltung geführt. Die Briefe Ahmad Shahs waren auf die Größe eines Rupien-Geldscheins gefaltet, von einem Stück Leder umwickelt und wurden im Ärmel des Wakil versteckt transportiert. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, dass sie in die Hände von Ranjit Singh oder des Königs von Ladakh fielen.
Von dem Schriftverkehr, den Ahmad Shah mit Captain Wade führte, wurden 1835 drei Schreiben in englischer Übersetzung zusammen mit Wades Anworten im Journal of the Asiatic Society of Bengal 1835 publiziert.

   

Abbildung 14: Erstes Schreiben von Ahmad Shah an Captain Wade in Ludiana aus dem Jahre 1829

 

Abbildung 15: Antwortschreiben von Captain Wade an Ahmad Shah vom 22. August 1829

 

 

   

Abbildung 16: Zweites Schreiben von Ahmad Shah aus dem Jahre 1830/31 an Captain Wade in Ludiana 

 

Abbildung 17: Antwortschreiben von Captain Wade an Ahmad Shah vom 8. Februar 1831 

 

 

   

Abbildung 18: Drittes Schreiben von Ahmad Shah aus dem Jahre 1833/34 an Captain Wade in Ludiana 

 

Abbildung 19: Antwortschreiben von Captain Wade an Ahmad Shah vom 22. Februar 1834

Die vorstehenden Briefe machen deutlich, dass die wichtigen Inhalte der damit kommunizierten Nachrichten nur mündlich überbracht wurden. Mit dem zweiten Sendschreiben hatte Ahmad Shah getrennt einen Bericht über die Aufstände gegen die Chinesen im östlichen Turkestan übersandt, den Wade zusammen mit dem obigen Schriftverkehr im Journal of the Asiatic Society of Bengal 1835 ebenfalls publizierte. Ahmad Shah wünschte insbesondere die Entsendung eines kompetenten Vertreters der britischen Administration nach Baltistan. Wade versuchte diesem Wunsch dadurch zu entsprechen, dass er Forschungsreisende wie Victor Jacquemont oder Vigne darum bat, nach Baltistan zu reisen.

Die Veröffentlichung dieses Schriftverkehrs 1835 unmittelbar nach der Eroberung von Ladakh durch die Dogras aus Jammu unter Zorawar Singh war offenkundig gut überlegt. Einerseits zeigte die britische Administration diplomatisch damit gegenüber Ranjit Singh deutlich an, dass sie ein besonderes Interesse an Baltistan besaß und mit diesem Land in Verbindung stand. Andererseits erfolgte die Veröffentlichung unter dem Deckmantel einer wissenschaftlichen Publikation von Seiten Captain Wades, so dass die Regierung des Punjab nicht den Vorwurf erheben konnte, die Briten mischten sich in die Belange der Interessensphäre ihren Landes ein. In diesem Kontext sind auch die Veröffentlichungen von Kurzberichten von Vigne über seine Erlebnisse in Baltistan im Journal of the Asiatic Society of Bengal zu bewerten.

Den Krieg zwischen den Dogras und Baltistan konnten die Briten dadurch nicht verhindern. Gulab Singh und Zorawar Singh waren für solche diplomatisch fein dosierten Hinweise offenbar unzugänglich, zumal beide, wie ein geplanter Feldzug nach Yarkand und der danach folgende Einfall nach Westtibet zeigen, offenbar an einer an Größenwahn grenzenden Selbstüberschätzung litten, die nicht nur für Zorawar Singh selbst, sondern auch für viele der von ihm kommandierten Soldaten und natürlich für seine von ihm überfallenen Gegner, einen sinnlosen Tod zur Folge hatte.

Mit den zwei oder drei Reisen, die Vigne nach Baltistan zwischen 1835 und 1838 unternahm, hatte Wade Ahmad Shahs Wunsch nach direkten Kontakten mit den Briten in gewisser Weise erfüllt. Allerdings war Vigne kein offzieller Vertreter der britischen Administration, sondern ein Forschungsreisender, was er auch gegenüber Ahmad Shah deutlich hervorgehoben hat. Die weitere politische Haltung der britischen Administration gegenüber Baltistan wird aus einem Schreiben des Governor-General an Captain Wade vom 23. Mai 1836 deutlich, in dem Earl Auckland Captain Wade ermunterte, keine Möglichkeit zu versäumen, um freundschaftliche Beziehungen zu Ahmad Shah zu pflegen, ansonsten aber im Hinblick auf dessen Verhältnis zu seinen Nachbarn strikte Neutralität zu befolgen (Datta, S. 155).

4.4. Victor Jacquemont und Baron von Hügel

Der französische Botaniker Victor Jacquemont (1801-1832) bereiste Kaschmir im Jahre 1831. Die Grenze zum Punjab hatte er unweit von Ludiana überquert, wo er sich zuvor einige Zeit als Gast von Captain Wade aufgehalten hatte. Während dieses Besuches hatte Wade den Franzosen gedrängt, seine Expedition über Kaschmir hinaus nach Klein-Tibet auszudehnen. Zweifellos hatte er auch Jacquemont über die Korrespondenz zwischen Wade und Ahmad Shah informiert. Zudem war Jacquemont auch bekannt, dass Moorcroft während seines Aufenthaltes in Ladakh mit Ahmad Shah brieflichen Kontakt gepflegt hatte. Letztendlich kann Jacquemont den Vorschlag von Captain Wade nicht direkt abgelehnt haben, denn letzterer muss Ahmad Shah unmittelbar nach Jacquemonts Abreise nach Lahore über dessen Reise nach Kaschmir informiert haben. Zweifellos hat er dabei Ahmad Shah empfohlen, Jacquemont nach Baltistan einzuladen.Tatsächlich wurde Jacquemont kurz nach seiner Ankunft in Kaschmir von Ahmad Shahs Wakil Názim Khan aufgesucht, der ihm ein Schreiben von Ahmad Shah überreichte, in dem dieser mitteilte, er sei über Jacquemonts Reise informiert worden und sein Land stehe Jacquemont für einen Besuch offen. Gleichzeitig kündigte er Jacquemont die Überreichung von Geschenken bestehend aus Kristallen, Moschus und Gold an.

Aus Jacquemonts Bericht zu Názim Khans Äußerungen über die Sikhs kann man entnehmen, welche politische Spannungen zwischen Baltistan und dem Punjab bestanden. Nach Názim Khan waren die Sikhs ein Haufen Halunken, die man mit einem oder zwei britischen Regimentern erledigen konnte. Man muss davon ausgehen, dass solche Äußerungen natürlich die Meinung von Názim Khans Herrn widerspiegelten und von einem außerordentlichen Selbstbewusstsein Ahmad Shahs zeugen. Das Verhältnis von Ahmad Shah zu den Sikhs und den Briten war keineswegs das eines Kaninchens, das ängstlich auf eine Schlange (die Sikhs) starrt und dabei kein anderes Hilfsmittel sah, als die Briten um Hilfe anzurufen.

Der Versuch, Jacquemont nach Baltistan einzuladen, schlug fehl. Der Franzose selbst sorgte mit Absicht dafür, dass seine Korrespondenz mit Ahmad Shah dem Herrscher des Punjab Ranjit Singh bekannt wurde. Damit wollte er auch eine weitere Korrespondenz unterbinden. Gleichwohl erreichte ihn eine weitere Gesandtschaft von Ahmad Shah, die von Charágh Ali Sháh geleitet wurde und an der auch Názim Khan teilnahm. Ahmad Shah schickte ihm ein Ehrengewand, drei Pakete mit Kristallen, acht Säcke mit getrockneten Aprikosen und zwei lebende Antilopen. Die Art und Weise, wie Jacquemont abschätzig diese Geschenke kommentierte, kann man in seinen Briefen nachlesen. Nach der Abreise der Gesandtschaft informierte er beflissentlich sofort Ranjit Singh über die Aktivitäten Ahmad Shahs. Jacquemont verließ Kaschmir, ohne Baltistan einen Besuch abgestattet  zu haben. Die beiden Antilopen verendeten aufgrund der Hitze in der indischen Tiefebene. Jacquemont selbst starb 1832 noch vor seiner Rückreise nach Frankreich in Bombay. Für Wade und Ahmad Shah aber war dieser erste Versuch, einen Kontakt über einen Europäer aufzunehmen, gründlich gescheitert. Dies sollte sich erst vier Jahre später mit dem Besuch von Godfrey Thomas Vigne in Baltistan ändern.

   

Abbildung 20: Victor Jacquemont 

 

Abbildung 21: Carl Baron von Hügel

Als der österreichische Weltreisende Carl Baron von Hügel (1796-1670) am 18. November 1835 Shrinagar, die Hauptstadt Kaschmirs erreichte, war Ladakh von den Truppen Zorawar Singhs schon erobert worden. Sein Bericht über seine Reise nach Kaschmir ist für uns insofern von Interesse, als er deutlich zeigt, dass Ahmad Shah jedenfalls bei denen, die sich damals für Kaschmir und sein Umfeld interessierten, ein wichtiges Gesprächsthema bildete. Jedenfalls hatten Ahmad Shahs diplomatische Aktivitäten dafür gesorgt, dass er und sein Land in dem von den Briten beherrschten Teil Indiens eine beachtete Größe war. Der Baron kannte die Veröffentlichung von Jacquemonts Briefen, die, wie er selbst berichtete, in Indien einen katastrophalen Eindruck hinterlassen hatte (von Hügel, S. 22). Er war auch Jacquemont persönlich begegnet und war diesem offenkundig sehr zugetan. Er teilte damit das Schicksal vieler, die den Franzosen unterstützt hatten und, wie Baron von Hügel schreibt, diesen nach der Veröffentlichung dieser Briefe der Undankbarkeit bezichtigten bzw. ihn als Verleumder ansahen oder aber sich durch ihn zutiefst verwundet fühlten.

Als Baron von Hügel in Kaschmir eintraf, war Thomas Godfrey Vigne gerade von seinem ersten Besuch von Baltistan zurückgekehrt und traf dort mit dem Baron zusammen. Baron
von Hügel äußerte sich in seinem 1840 erschienen Buch wie folgt zu Ahmad Shah und der politische Lage seines Landes (S. 218f):

„Achmed Schah, der jetzige Raja von Iscardu, befindet sich eben in einer bösen Lage; die Siek, welche sich seit den letzten 40 Jahren in dem nord-westlichen Theile Indiens, von einzelnen Räubern, zu den Herren des Landes emporgeschwungen haben, sind zum ersten Mal unter einem Oberhaupte vereinigt, nämlich unter Ranjiet Singh; alle kleinen mohamedanischen Staaten, in deren Mitte sich das Reich bildete, sind ihm unterworfen: eben so sind alle Raja in den Gebirgen, südlich, westlich und östlich von Kaschmir ihm zinsbar geworden, oder ihr Land wurde, im Vertheidigungsfalle, den früheren Herrschern entzogen. Die Reihe kommt nun an jene im Norden. Ladakh ist gefallen, und Achmed Schah sieht das Ungewitter drohend an seiner Gränze aufsteigen, welchem zu begegnen er sich zu rüsten gedenkt, ohne sich jedoch dem Kampfe gewachsen zu fühlen. Seit undenklichen Zeiten lebte Iscardu im tiefsten Frieden; das Land ist arm und ohne Reiz für den Eroberer, kein Nachbar fand seinen Besitz wünschenswerth, die Bevölkerung kennt daher keinen Krieg. Eine Verbindung mit der Kompagnie wäre Achmed Schah erwünscht, um vor Ranjiet Singh sicher zu seyn, und deswegen war ihm der Besuch Mr. Vigne´s höchst gelegen.“

Natürlich ist diese Beurteilung der Balti als ein Volk, das keinen Krieg kannte und seit undenklichen Zeiten in tiefsten Frieden lebte, eine komplette Fehleinschätzung. In gewisser Weise relativierte Baron von Hügel aber diese Einschätzung wiederum dadurch, dass er das Folgende ergänzte (S. 219):

Für Ranjiet Singh ist Achmed Schah keineswegs ein ganz zu verachtender Feind, nicht wegen der Anzahl der Truppen, die er ihm entgegen zu stellen vermag, oder der inneren Hilfsquellen des Landes, es ist arm und sparsam bevölkert, allein die Menschenrace ist kräftig; durch die Jagd in den Waffen geübt, das Land voller tiefer Schluchten und ungeheurer Berge. Die Truppen Iscardu´s, des Krieges ungewohnt, welchen sie nur auf orientalische Weise, jeder für sich, zu führen verstehen, würden wohl im offenen Felde den europäisch disciplinirten Bataillonen Ranjit Singh´s nur geringen Widerstand entgegen zu setzten vermögen; allein in diesem Hochlande, mit jedem Passe, jeder schwierigen Stelle vertraut, können wenige entschlossene Männer eine Armee aufhalten und den vordringenden Feind zu Grunde richten.“

Wir wissen nicht, ob die Darlegungen Baron von Hügels die Meinungen widerspiegelten, die damals auch in der britischen Verwaltung über Baltistan vorherrschend waren. Gleichwohl war die Faktenlage, was die mangelnde militärische Übung der Balti und ihre Friedfertigkeit anbetrifft, eine völlig andere. Nach den sich über fünfzehn Jahre hinziehenden militärischen Auseinandersetzungen mit Truppen aus Ladakh hatte Ahmad Shah nach 1815 in jahrelangem Kampf den übrigen Königen in Baltistan seine Vorherrschaft aufgezwungen. Wenige Jahre vor Baron von Hügels Ankunft hatte Ahmad Shah die Unbotmäßigkeit von Mehdi Khan, des Herrschers von Khaplu, gewaltsam beendet und war mit den vereinten Truppen seiner Verbündeten in Kartaksho einmarschiert. Die Geschichte Baltistans im 17. und 18. Jahrhundert war in geprägt von periodisch wiederkehrenden Kriegen der Herrscher dieses Landes untereinander, von kriegerischen Konflikten mit sich einmischenden Truppen aus Ladakh und von Angriffen gegen seine Nachbarn Gilgit, Astor und Nagar. Letztendlich sind noch drei Invasionen der Truppen der Moghul-Kaiser, die von Kaschmir aus geführt worden, zu erwähnen.

Grundsätzlich waren die Bewohner von Baltistan ein kriegserprobtes Volk und Ahmad Shah war keinesfalls ein freundlicher und harmloser älterer König, der in einem märchenhaften, weit entfernten Land umgeben von sagenumwobenen Bergen in Harmonie mit seiner Bevölkerung und den ihn umgebenden Nachbarländern lebte. Dies wird an dem Bericht Vignes über seine Einreise in Baltistan deutlich. Während der Überquerung der Deosai-Hochebene traf er auf eine zu seinem Empfang mit dem Prinzen Ahmad Ali Khan (Achmet Ali Khan, siehe Abbildung 2) abgesandte Empfangsdelegation. Die Spitze dieser Delegation bildeten Musikanten mit Klarinetten und langen Hörnern und darauf folgte eine Gruppe von 30 bis 40 Reitern, wild aussehende Gestalten, die mit Luntenschloß-Feuerwaffen, Schwertern und Schilden ausgestattet waren. Der darauf folgende Prinz war von einer noch größeren Schar bewaffneter Reiter umgeben. Ahmad Ali Khan informierte Vigne, dass sein Vater mit einer größeren Gruppe bewaffneter Männer in der Nähe sei. Man sei im Begriff, einer siebzig bis achtzig Personen umfassenden Gruppe bewaffneter Räuber aus Kholi-Palus den Weg abzuschneiden. Diese Räuber hatten ein Dorf aus dem Herrschaftsbereich seines Vaters überfallen und waren nun nach diesem Überfall mit dem Vieh und Einwohnern des Dorfes, die man als Sklaven verkaufen wollte, auf dem Rückweg. Vigne hielt sich beim folgenden Angriff auf die Räuber in der Nähe des Kampfgeschehens auf und schilderte die Situation, die er beim Erreichen des Kampfplatzes antraf, wie folgt (S. 224):

„Our party was instantly mounted, and we pushed forward to the top of the hill in advance of us; but the work had been shortly finished, and was nearly over when we arrived. The bodies of five or six men who had attempted to escape towards us were lying on our right. They had been intercepted, and killed, and stripped in an instant. At a short distance lay a wounded wretch, who had raised himself on his hand, and by his side was an old Tiboti Sepahi, cooly loading his matchlock, from which he gave him the coup-de-grace. Around another circle of the victors, from which one more ferocious than the rest would now and then step forward, to inflict a fresh wound with his sword. Others were busy in stripping the slain, and securing part of the spoil to themselves.”

Von den siebzig bis achtzig Räubern hatte man alle, bis drei oder vier Personen, denen die Flucht gelang, getötet. Etwa 100 Männer, Frauen und Kinder, die die Räuber in die Sklaverei verkaufen wollten, konnten zusammen mit einer großen Herde Schafe befreit werden. Am nächsten Morgen konnte Vigne beobachten, wie Ahmad Shah einen Haufen mit den abgeschlagenen Köpfen der getöteten Räuber inspizierte.

5. Begegnungen mit Godfrey Thomas Vigne zwischen 1835 und 1838

Es ist bis heute nicht ganz klar, ob Vigne zwischen dem Herbst 1835 und 1838 zweimal oder dreimal nach Baltistan reiste. Vermutlich absolvierte er drei Reisen. Seine Erläuterungen zu Baltistan fassen die Beobachtungen mehrerer Reisen zusammen, so dass nicht immer deutlich wird, was er wann beobachtet oder erlebt hatte. Man mag diese Art der Darstellung, wie es auch Cunningham getan hat (S. 12), kritisieren. Betrachtet man aber die Karten, die von Kaschmir, Ladakh und Baltistan nach seinen Angaben 1842 von John Walter im Auftrag der East India Company erstellt und mit dem Titel „Kashmir; With its Passes; Ladak & Little Tibet, The Mountain Course of the Indus; and the Alpine Pajab generally“ veröffentlicht wurden, so fällt eine sehr große Genauigkeit im Hinblick auf die Logistik der Wegebeziehungen ins Auge. Diese Karte war offenbar nicht das Ergebnis zufälliger Beobachtungen, sondern beruhte vermutlich auf in Auftrag gegebenen Beobachtungen mit dem Ziel, ein auch für militärische Logistik nutzbares Ergebnis zu erreichen.

Bekannt ist, dass Vigne die ersten Reise auf Anregung von Captain Wade durchführte, der auch bestimmte Grundvoraussetzungen für diese Reise im Hintergrund mit Ahmad Shah organisiert haben muss. Für Ahmad Shah war Vignes Reise so etwas wie ein Erkundungsunternehmen im Auftrag der East India Company, auch wenn Vigne angibt (S. 236), er habe dem Herrscher von Baltistan deutlich gesagt, dass seine Unternehmung rein privater Natur sei. Andererseits beschreibt Vigne die Erwartungen des Königs von Skardu über mögliche Beziehungen zu den Briten so, als habe es keinerlei politische, informelle Gespräche zwischen ihm und dem König von Skardu gegeben. Letzteres halte ich angesichts der häufigen Treffen zwischen den Beiden für völlig ausgeschlossen. Offenbar waren die Inhalte solcher Gespräche vertraulich und wurden von Vigne, der in keinster Weise die peinliche Indiskretion eines Victor Jacquemont besaß, nicht in seinem Buch kommuniziert. Ahmad Shah machte Vigne alle Teile seines Reiches für Erkundungsreisen zugänglich, was belegt, dass er von Seiten der Engländer keinerlei Gefahr auf sich zukommen sah und dem vermuteten Vertreter der East India Company mit einem großen Vertrauensvorschuss begegnete. Er befürchtete also nicht, dass Vignes Kenntnisse über die Infrastruktur Baltistans umgehend bei Gulab Singh landen könnten.

Nach Vigne überragte Ahmad Shah mit ca. 1,80 m Körpergröße die Mehrzahl seiner Untertanen. Seine Körperkraft war außerordentlich, wurde doch von ihm berichtet, dass er den Lauf eines Gewehres mit bloßen Händen zerbrochen hatte. Vigne schätzte sein Alter (1835) auf 65 – 70 Jahre. Vigne berichtet, dass Ahmad Shah ihm gegenüber stets offen und ehrlich war. Er hob seine außerordentliche Höflichkeit hervor. Wann immer Vigne den König aufsuchte, erhob sich dieser von seinem Sitz, um den Gast zu begrüßen. Wie schon angemerkt, konnte Ahmad Shah Persisch lesen und schreiben. Amad Shah war ein Kettenraucher. Vigne beklagt, dass eine schnelle Reisegeschwindigkeit in Begleitung des Königs nicht möglich war, da dieser jeweils nach einer kurzen Wegstrecke darauf bestand, von Pferd zu steigen, um eine Zigarre zu rauchen. Ahmad Shah hatte von mehreren Frauen fünf bis sechs Söhne, von denen der jüngste, Ahmad Ali Khan (siehe Abbildung 2), ca. 12 Jahre alt war. Vigne beobachtete, dass die Untertanen in Baltistan ihrem König stets mit großem Respekt begegneten. Allerdings sollte man daraus nicht schließen, dass sie außerhalb Skardus deswegen mit ihm in Loyalität verbunden waren. Hier waren die Bindungen zu den von Ahmad Shah unterworfenen alten Herrscherhäusern sicherlich stärker.

An dieser Stelle ist es interessant, die Einschätzung Vignes über die Rolle von Captain Wade im Verhältnis von Baltistan und dem Reich der Sikh wiederzugeben (S. 375): „The hints and intercessions of Capt. Wade in favour of Ahmed Shah, were always attented with beneficial effect. It is much to that officers´s credit, that without the smallest exertion of actual interference on his part, the territories of this very friendly potentate escaped invasion so long as he was the political agent at Lodiana.”

Das, was Vigne hier als Intention von Wades Handeln im Hinblick auf Baltistan beschrieb, nämlich Diplomatie als Mittel der Kriegsvermeidung betrieben zu haben, gilt auch für die Aktivitäten von Ahmad Shah. Dass dies von einigen Beobachtern seiner Zeit und auch von späteren Historikern (z. B. Datta) als Zeichen der Schwäche Ahmad Shahs ausgelegt wurde, ist sicherlich eine Fehleinschätzung. In dem unmittelbar auf den Abgang Wades folgenden Krieg zwischen den Dogra und Baltistan unterlag Ahmad Shah nicht wegen seiner militärischen Schwäche, sondern durch den Verrat eines Teils der unter ihm kämpfenden und mit ihm eng verwandten übrigen Herrscher seines Landes.

   

Abbildung 22: Godfrey Thomas Vigne

 

Abbildung 23: Zorawar Singh

 6. Einfall der Dogra aus Jammu und Verlust seiner Herrschaft

1834 überfielen Truppen des Herrschers von Jammu Gulab Singh unter Führung des Generals Zorawar Singh das Königreich Ladakh. Die Dogra waren in den nächsten vier Jahren damit beschäftigt, ihre Machtstellung in Ladakh zu konsolidieren und die wenigen Reichtümer des Landes (allein in 1835 wurde die für damalige Verhältnisse riesige Summe von 70.000 Rupien erpresst) nach Indien zu verfrachten (Petech, S. 138-142). Der 1835 insbesondere in Purik aufflammende Widerstand wurde von den brutalen Invasoren mit Massenhinrichtungen unterdrückt (Cunningham, S. 337f). Hilfeersuchen des Königshauses von Ladakh an die britische Verwaltung in Indien wurden zurückgewiesen. Die Eroberung Ladakhs fand fast zeitgleich mit den Reisen von Vigne nach Baltistan statt.

1839 kam es erneut zu einem offenen Widerstand gegen die Dogra, der sich ausgehend von Zanskar nach Dras ausbreitete. Zorawar Singh konnte den Aufstand im Keim ersticken und ließ Sukamir, den Führer des Widerstands, öffentlich hinrichten (Petech, S. 143). Einige von Sukamirs Mitstreitern, wie Rahim Khan aus Cigtan und Hussain aus Paskyum, gelang die Flucht nach Baltistan (Datta, S. 117). Im gleichen Jahr hatte Ahmad Shah seinen nach Ladakh geflohenen Sohn Mohammad Shah durch eine Truppe von fünfzig Reitern gewaltsam aus Leh nach Baltistan zurückholen lassen. Nach Cunningham (S. 344f) war dies der Anlass für Zorawar Singh, nun eine Invasion nach Baltistan zu beginnen. Tatsächlich aber war dieses Unterfangen von langer Hand vorbereitet und die Unterstützer der Sikhs in Baltistan, wie Ali Sher Khan in Kharmang oder Daulat Ali Khan aus Khaplu, warteten nur auf den Beginn dieser militärischen Operation, um dabei Ahmad Shah in den Rücken zu fallen. Durch diesen Verrat war Ahmad Shahs Verteidigung von Anfang an zum Scheitern verurteilt und die gesamte militärische Aktion von Zorawar Singh war alles andere als ein militärisches Meisterstück.

Abbildung 24: Die drei Einmarschsäulen von Zorawar Singh nach Baltistan (grün)

Im November 1839 begann Zorawar Singh seinen Feldzug gegen Baltistan. Seine Armee war in zwei Marschsäulen aufgeteilt, von denen diejenige, die hauptsächlich aus Soldaten aus Ladakh bestand, von Hanu aus über den Chorbat-Pass nach Chorbat (Abb. 24: Chorbut) und Khaplu (Abb. 24: Khopallu) vorrücken sollte (Abbildung 24, rechte grüne Linie). Zorawar Singh selbst startete mit seiner Hauptarmee von Kargil in Purik und marschierte entlang der rechten Seite des Shingo-Flusses (Abb. 24 = Duras River) in die Richtung des Zusammenflusses des Shingo mit dem Indus. Nach Cunningham umfasste diese Hauptruppe 15.000 Mann. Ali Sher Khan (III) berichtete, dass Zorawar Singh mit 11.000 Soldaten das nahe der Mündung des Shingo in den Indus gelegene Chathatang (auch Cece Thang, Chechethang und Thetsa Thungo geschrieben) erreichte. Diese beiden unterschiedlichen Aussagen bilden keinen Widerspruch, denn Cunningham erläuterte, dass sich von der Hauptarmee eine Abteilung von 5.000 Mann unter Mia Nidhan Singh abspaltete, um über Shigar (Abbildung 24: Shingo Shigur) eine weitere Route nach Baltistan zu erkunden. Dieser nach Westen vorrückende Teil Zorawar Singhs Armee wurde von den Baltis, die alle Truppenbewegungen ihres Gegeners genau beobachteten, angegriffen und bis auf 400 Mann aufgerieben. Letzteren gelang nach einer vollständigen Niederlage die Flucht in das Hauptlager von Zorawar Singh.

Das militärische Potential auf Seiten der Balti war keineswegs kleiner als das der Dogra. Nach ladakhischen Quellen konnte allein der Herrscher von Khaplu im 17. Jahrhundert 5.000 Kämpfer mobilisieren. Angesichts einer mit Khaplu vergleichbaren Landesgröße von Shigar und Skardu konnten also die drei Hauptkönigreiche von Baltistan wenigstens 15.000 waffenfähige Männer rekrutieren. Ali Sher Khan (III) aus Kharmang gibt die Stärke seiner Truppe mit 1.000 Mann an. Rechnet man das militärische Potential von Rondu, Kiris, Astor und Nagar hinzu, standen Ahmad Shah theoretisch zwischen 18.000 und 20.000 Krieger zur Verfügung. Auch an militärischer Ausrüstung bestand kein Mangel. Allein bei der Plünderung der Bergfestung von Skardu erbeuteten die Dogra 3000 Gewehre und 2000 Schwerter. Dem Einmarsch der nach der Niederlage von Mia Nidhan Singh verbliebenen Marschsäulen nach Baltistan hätten sich selbst nach einem Sieg bei dem an der Grenze zu Ladakh gelegenen Marol schwer überwindbare Hindernisse entgegengestellt. Auf dem Weg durch das Indus-Thal folgte die als uneinnehmbar geltende Festung von Kartaksho. Danach standen die Festungen von Tolti und Parkuta den Invasoren im Weg, die man mit Feinden im Rücken nicht einfach passieren konnte. Die erste Marschsäule wäre unter normalen Bedingungen nicht nur mit den Truppen aus Khaplu konfrontiert gewesen, es standen ihr auch unter anderem die Festungen Thortsi Khar in Khaplu, und Saling sowie die Burg von Kiris als Hindernisse im Weg.

Tatsächlich bestand dieses Verteidigungspotential von Ahamd Shah aber nur auf dem Papier, wenn man bedenkt, dass z. B. in der Bergfestung von Kharmang der dortige Herrscher Ali Sher Khan (III) den indischen Eroberern statt militärischen Widerstand entgegen zu setzen „gleichsam ein Mittagsessen kredenzte.“ Und die Herrscher von Tolti und Parkuta (letztgenannter war ein Bruder von Ahmad Shah) erschienen in eben diesem Kharmang, um Zorawar Singh ihre Reverenz zu erweisen. Nachdem die Sikhs vor Marol den Indus überschritten hatten, zog Ali Sher Khan (III) seine eintausend Mann zählende Truppe zurück. Die somit in ihrer Verteidigung entscheidend geschwächten Balti verloren daraufhin die folgende Schlacht. Die über den Chorbat-Pass einmarschierende erste Säule der Armee Zorawar Singhs konnte ohne den geringsten Widerstand Khaplu passieren. Nachdem die erste wichtige Schlacht am Zusammenfluss des Shingo und des Indus vor Marol durch den Verrat von Ali Sher Khan (III) von den Invasoren gewonnen war, konnten die Sikhs ungehindert und teilweise unter Führung von Ali Sher Khan (III) bis Skardu durchmarschieren.

Ahmad Shah verschanzte sich zunächst in der Bergfestung Kharpocho. Inzwischen fanden sich aber die Herrscher von Khaplu, Chorbat, Kiris und Shigar bei Zorawar Singh in Skardu ein, um ihre Unterwerfung anzubieten. Damit hatte Ahmad Shah allen wesentlichen Rückhalt verloren und gab auf. Nach Ali Sher Khans Darstellung wurde Ahmad Shah an Füßen und Händen in Ketten gelegt, abgeführt und eingekerkert. Der Staatsschatz von Skardu einschließlich des gesamten Waffenarsenals fiel in die Hände der Eroberer und wurde abtransportiert. Ahmad Shahs Sohn Mohammad Shah wurde als Herrscher von Zorawar Singhs Gnaden in Skardu eingesetzt mit der Auflage, jährlich eine Tributzahlung von 7000 Rupien zu leisten. Um seine Eroberung abzusichern, stationierte Zorawar Singh eine Garnison von vertrauenswürdigen Dogra-Soldaten in Skardu. Diese Garnison residierte offenbar zunächst in der Bergfestung Kharpocho. Nach der Niederschlagung des Aufstandes gegen die Sikhs im darauffolgenden Jahre 1842 wurde Kharphocho zerstört und eine eigene Dogra-Festung am Ufer des Indus errichtet, die in den nächsten einhundert Jahren das Machtsymbol der neuen Herren in Baltistan bildete.

Noch während Zorawar Singhs Aufenthalt in Baltistan wurden neue Gesetze verkündet. Das Töten von Kühen und Bullen wurde unter Todesstrafe gestellt. Besondere Mühe verwendete der rachsüchtige Zorawar Singh darauf, die aus Purik geflohenen Widerstandskämpfer Rahim Khan und Hussain einzufangen. In einer öffentlichen Zeremonie wurden Rahim Khan die Hände abgeschlagen und die Zunge und Ohren abgeschnitten, um ihn dann öffentlich zur Schau zu stellen. Er überlebte die Verstümmelung unter qualvollen Schmerzen nur zwei Tage. Hussain erlitt die gleiche Bestrafung, überlebte aber diese Tortur. Ahmad Shah entging seiner Hinrichtung nur durch die Zahlung von 10.000 Rupien (Afridi, S. 352).

Bei seiner Rückkehr nach Ladakh führte Zorawar Singh den besiegten Herrscher von Baltistan und dessen als Nachfolger bevorzugten Sohn als Geisel mit sich. Die Verschleppten wurden danach gezwungen, ihn auf seinem nachfolgenden Feldzug gegen Westtibet zu begleiten.

Abbildung 25: Die Dogra Festung von Skardu nach Thomson

7. Verschleppung nach Tibet, Rückkehr nach Baltistan und endgültige Gefangennahme

Ahamd Shah wurde von Zorawar Singh als Geisel auf dessen aberwitzigen Feldzug in Jahre 1841 gegen das flächenmäßig zwar riesige, aber weitgehend menschenleere Westtibet mitgenommen, in dem es für den Inder praktisch nur wenig gab, was man rauben konnte. Die nach Westtibet eindringenden Dogras wurden von den aus Zentraltibet zur Verteidigung des Landes anrückenden Truppen vernichtend geschlagen. Ihrem Anführer Zorawar Singh wurde in der letzten Schlacht der Kopf abgeschlagen. Während somit der Schädel des von indischen Historikern wie Pannikar und Datta (S. 144) als „great and noble warrior“ gepriesenen Zorawar Singh, von dem auch noch die Behauptung aufgestellt wurde, dass seine Größe „through the pages of Indian history“ leuchten wird, als Trophäe tibetischer Soldaten herumgetragen wurde, geriet Ahmad Shah in die Gefangenschaft der zentraltibetischen Verteidiger, die er alsbald als Berater auf deren Kriegszug gegen die Reste der Dogra-Herrschaft in Ladakh begleitete. Parallel dazu sandte Ahmad Shah seinen Vertrauten Yulstrong Karim nach Baltistan, um dort den Widerstand gegen die Dogras zu organisieren.

Unter Führung von Ali Khan von Rondu, Haidar Khan aus Shigar, Daulat Ali Khan aus Khaplu und anderen wurde die Stellung der Dogras in Skardu angegriffen und deren Kommandant Baghwan Singh gefangen genommen. Die Angreifer übernahmen die Macht in Baltistan, wobei sie von 140 Mann Verstärkung aus Nagar unterstützt wurden.

Während dieser Zeit verblieb Ahmad Shah in Ladakh, um den dortigen Aufstand gegen die Dogras zu unterstützen. Auf der Seite der Balti, die am Widerstand gegen die indischen Eroberer teilnahmen, ragte Mohammad Ali aus Khaplu heraus, der mit seinen Kriegern den Kampf der Ladakher unterstützte. Er wurde später dafür von den Dogras mit der üblichen Zerstückelung bestraft.

Die Dogras bereiteten mit einer erneuten Entsendung von 5.000 Mann unter Dewan Hari Chand und Wasir Ratanu dem Aufstand in Ladakh im Mai 1842 ein schnelles Ende. Ahmad Shah gelang die Flucht nach Baltistan.

Nach der Wiederherstellung der indischen Vorherrschaft in Ladakh war es das nächste Ziel der Dogra, ihre Machtstellung in Baltistan zu erneuern. Diese Aufgabe wurde Wasir Lakhpat übertragen, der bei der folgenden Invasion wie zuvor Zorawar Singh mit der aktiven Unterstützung von Ali Sher Khan (III) aus Kharmang rechnen konnte. Ali Sher Khan (III) übernahm die Verpflegung der vorrückenden Truppe der Dogras, die 1.000 Mann umfasste und die durch weitere 1.000 Krieger aus Kharmang von ihm verstärkt wurde. Er führte die Invasoren persönlich auf einer besonderen Route über Shingo Shigar (siehe Abbildung 24) nach Skardu. Die nachfolgende Eroberung von Kharphocho erfolgte unter großem Blutvergießen auf Seiten der Verteidiger. Ahmad Shah und sein Bruder Ghulam Shah flohen mit ihren Familien nach Rondu, wo sie von dem dortigen Herrscher Ali Khan aufgenommen wurden.

In Rondu konnten sich Ahmad Shah und seine Familie aber nicht für lange Zeit in Sicherheit wiegen. 1842/43 rückte Wesir Ghulam Hussain, ein Minister Ali Sher Khans (III), von Skardu aus mit einer 2.000 Mann starken Armee vor und erreichte noch in der gleichen Nacht Rondu, wo sich der alte Herrscher von Baltistan Ahmad Shah und sein Bruder Ghulam Shah mit ihren Familien aufhielten. Diese waren vor der Ankunft der Truppen aus Skardu geflohen und suchten Zuflucht in der Festung von Stak (Astak). Rondu wurde von Wesir Ghulam Hussains Truppen kampflos eingenommen. Danach folgte der Wesir aus Kharmang den Flüchtlingen bis zur Festung von Stak, belagerte sie und nahm sie schließlich ein. Ghulam Hussain sandte alle Flüchtlinge zu dem Administrator Gosaun (Gosaon), der von den neuen Dogra-Machthabern als Verwalter (Thanadar) in Skardu als Nachfolger des während des Aufstands der Balti entmachteten Baghwan Singh eingesetzt worden war.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen in Ladakh wurde Ahmad Shah vermutlich zusammen mit anderen Gefangenen an den Hof des Jammu-Herrschers Rāja Gulab Singh zur Aburteilung überstellt (Autobographie in Hashmatullah Khan, S. 93). Damit verliert sich die Spur von Ahmad Shah. Er war zweifellos eine der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten von Baltistan.

8. Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Alexander Cunningham: Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries. New Delhi 1977 (reprint)
John Biddulph: Tribes of the Hindoo Koosh. Reprint. New Delhi 2001
Ahmad Hasan Dani: History of Northern Areas of Pakistan. Second Edition. Islamabad 1991
C. L. Datta: Ladakh and Western Himalayan Politics: 1819-1848. The Dogra Conquest of Ladakh, Baltistan and West Tibet and Reactions of other Powers. New Delhi 1973
A. H. Francke: Antiquities of Indian Tibet. Part (Volume) II. The Chronicles of Ladakh and Minor Chronicles. Texts and Translations, with Notes and Maps. (Reprint) New Delhi 1972
Yoseb Gergan: Ladags rgyal rabs chimed ster (History of Ladakh) in Tibetan. New Delhi 1976
Carl Freiherr von Hügel: Kaschmir und das Reich der Siek. In vier Bänden. Erster bis vierter Band. Stuttgart 1840
Victor Jacquemont: Letters from India; Describing a Journey in the British Dominions of India, Tibet, Lahore, and Cashmere, during the Years 1828, 1829, 1830, 1831. Undertaken by Order of the French Government. Accompanied with a Map of India and a Portrait of the Author. In two Volumes. London 1834
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht
Alexander Csoma de Körös: Geographical Notice of Tibet. The Journal of the Asiatic Society of Bengal. Vol. I. Calcutta 1932, S. 121-127
William Moorcroft and George Trebeck: Travels in India. Himalayan Provinces of Hindustan and the Panjab; in Ladakh and Kashmir; in Peshawar, Kabul, Kunduz and Bokhara; from 1819 to 1825. Prepared for the Press, from Original Journalsand Correspondence, by Horace Hayman Wilson. Two Volumes. London 1841
Luciano Petech: The Kingdom of Ladakh. C. 950-1842 A. D. Roma 1977
Dieter Schuh: Herrscherurkunden und Privaturkunden aus Westtibet (Ladakh), Halle 2008 (= Monumenta Tibetica Historica, Abteilung III. Diplomata, Epistolae et Leges, Band 11)
Dieter Schuh 1: Die Herrscher von Baltistan (Klein-Tibet) im Spiegel von Herrscherurkunden aus Ladakh. In: Chomolangma, Demawend und Kasbek. Festschrift für Roland Bielmeier zu seinem 65. Geburtstag. Band 1: Chomolangma, Halle 2008, S. 165-225
Godfrey Thomas Vigne: Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo. The Countries Adjoining the Mountain-Course of the Indus and the Himalaya North of the Punjab. Volume II, London 2005. Nachdruck der Ausgabe von 1842
C. M. Wade: Notes taken by Captain C. M. Wade, Political Agent at Ludiána, in 1829, relative to the Territory and Government of Iskárdoh, from Information given by Charágh Ali, an agent who was deputed to him in that year by Ahmad Sháh, the Gelpo or ruler of that country. The Journal of the Asiatic Society of Bengal, Vol. IV, January to December 1835, Calcutta 1835, S. 589-601
Siegfried Weber: Die persische Verwaltung Kaschmirs (1842-1892), Wien 2007

Autor: Dieter Schuh, 2011

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