Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Der Eingang zum Norbu Lingka mit Mitgliedern der Polizei. (Rhodes, 2006, plate 24)

Die Tibetische Polizei in Lhasa (seit 1924)

Die Reform der Polizei-Einheit von Lhasa in den Jahren 1923-24 war Teil der Maßnahmen zur Modernisierung Tibets, welche der 13. Dalai Lama nach seiner Rückkehr aus dem indischen Exil (1910-12) in den 20ger Jahren des 20. Jahrhunderts in die Wege leitete. Möglicherweise geht die Reform auf eine Empfehlung des Britisch-Indischen Kolonialbeamten Charles Bell zurück, der Tibet 1920/21 besuchte.

 Inhaltsverzeichnis

1. Tibetische Polizei vor 1924
2. Tibetische Polizei unter Laden La
3. Tibetische Polizei nach 1925
4. Anmerkungen
5. Bibliographie
6. Bildnachweise

1. Tibetische Polizei vor 1924

Die erste moderne Polizei-Einheit Tibets wurde auf die Initiative hin von Trang Yintang gebildet. Trang Yintang (Zhang Yintang) kam 1907 als Assistent des chinesischen Ambans Yutai nach Lhasa.
Infolge der chinesischen Invasion durch die Truppen unter Lauchün, welche 1910 Lhasa einnahmen, wurde die tibetische Polizei gewaltsam aufgelöst und durch eine chinesische Einheit ersetzt.
Nach dem Fall der Qing Dynastie mussten die chinesischen Besatzer nach Vermittlung durch den nepalesischen Verteter (Vakil) in Lhasa die tibetische Hauptstadt 1912 verlassen und über Britisch-Indien nach China zurückkehren. Danach konnte erneut eine tibetische Polizei-Einheit für Lhasa und Zhöl aufgestellt werden.

2. Tibetische Polizei unter Laden La

Da die nach 1912 aufgestellte Polizei-Einheit offenbar den Ansprüchen eines modernen Staates nicht mehr gerecht wurde, beschloss man 1923 mit Hilfe von Britisch-Indien eine moderne Polizei einzuführen. Hierzu lud man Sönam Wangphel Laden La (bSod nams dbang ´phel legs ldan lags; 1876-1936) ein. Dieser war ein tibetisch stämmiger Sikkimese, der als Polizeichef in Darjeeling und durch sein Mitwirken bei der Younghusband Mission von 1904 mit Tibet-Angelegenheiten und der zu übernehmenden Aufgabe vertraut war. Auch war er zeitweise für die Sicherheit des 13. Dalai Lamas während dessen Exil in Britisch-Indien verantwortlich gewesen.

Abbildung 2: Sitzend: S.W. Laden La (links) und sein Assistent Mondrong Khenrab Kunsang.
Nach Tsipon Shakabpa (2012, vol. 2, S. 812) and Gyaltse Namgyal Wangdue (vol. 2, 2010, S. 39) lauten die Namen der fünf dahinter stehenden Offiziere wie folgt: Dhokar Sé Phuntsok Rabgye (mdo mkhar sras Phun tshogs rab rgyas), Lhading Sé (La sding sras), Mipon Gyaldrong Nangso (mi dpon rGyal grong nang so), Tsedrung Khenrab Tsultrim (rtse drung mKhyen rab tshul khrims) and Shodrung Jingpa Surpa (shod drung Bying pa zur pa).
(Rhodes, 2006, plate 22)

Laden La (siehe Abbildung 2) wurde zum Chef der von ihm aufgebauten aus ca. 300 Mann bestehenden Polizeitruppe ernannt. Zudem wurde ihm der Titel eines Dzasak verliehen. Hauptquartier für die neue Polizei-Einheit wurde der ehemalige Amtssitz der chinesischen Ambane, der sog. Yamen, in welchem auch Laden La residierte. Zu seinem Assistenten ernannte Laden La Mondrong Khenrab Kunsang (smon grong mKhyen rab kun bzang), einer der vier jungen Tibeter, die von der tibetischen Regierung zum Studium nach England geschickt worden waren. Mondrong hatte Bergbau studiert, konnte seine erworbenen Kenntnisse in Tibet jedoch kaum anwenden, da in seinem Land Vorurteile gegen die Anlage von Minen bestanden, denn die meisten Tibeter fürchteten, dass das Stören der Erdgeister zu Missernten oder Sterben von Herden führen könne.

Abbildung 3: Parade der Polizei im Gelände des ehemaligen Yamen (Sitz der chinesischen Ambane). (Rhodes, 2006, plate 23)

Außerdem standen Laden La fünf Polizeioffiziere zur Seite. Diese waren Dhokar Sé Phuntsok Rabgye (mdo mkhar sras Phun tshogs rab rgyas), Lhading Sé (La sding sras), Mipon Gyaldrong Nangso (mi dpon rGyal grong nang so), Tsedrung Khenrab Tsultrim (rtse drung mKhyen rab tshul khrims) und Shodrung Jingpa Surpa (shod drung Bying pa zur pa) (siehe Abbildung 2).

Zur Polizei gehörte auch eine Art geheimdienstliche Abteilung welche sich So pa las khungs nannte. Berichte über Tätigkeiten und Äußerungen des tibetischen Adels und anderer einflussreicher Tibeter wurden von dieser Abteilung direkt an den Dalai Lama geleitet (Spence 1991, S. 459).

Traditionell sorgten in Klöstern und in Lhasa während Festtagen ldab ldob genannte Mönche für Disziplin. Diese sahen ihre Position durch die moderne Polizei-Einheit bedroht. Hieraus erklärt sich, dass sowohl der Adel als auch der Klerus der neuen Polizei-Einheit ablehnend gegenüberstanden, zumal sie auch noch mit zusätzlichen Steuern zu deren Finanzierung belastet werden sollten.

Im Mai 1924 streuten Anhänger des einflussreichen Adligen Tsipön Dorje Tsegyal Lungshar (rtsi dpon rDo rje tshe rgyal lung shar) das Gerücht, dass der Oberkommandierende der Armee, Tsharong Shabpe (Tsha rong zhabs pad) und Laden La im Geheimen verabredet hätten, im Rahmen eines Coups dem 13. Dalai Lama die weltliche Macht zu entreißen und Tsharong Shabpe zum Machthaber Tibets zu etablieren, während der Dalai Lama ausschließlich die Position als religiöses Oberhaupt behalten hätte. Obgleich dieses Gerücht höchstwahrscheinlich keinen Wahrheitsgehalt hatte(1), weckte es das Misstrauen des Dalai Lamas, der Tsharong Shabpe im April 1925 als Oberbefehlshaber der Armee absetzte.

Da die von Laden La organisierte Polizei-Einheit sich in Lhasa keiner großen Beliebtheit erfreute(2), war dieser zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt; er sah sich und seine Familie gegen Ende von 1924 in einer lebensbedrohenden Lage und musste sich entschließen, sein Amt weniger als ein Jahr nach seiner Ankunft in Lhasa (September 1923) aufzugeben und im Oktober 1924 nach Darjeeling zurückzukehren. Zum neuen Polizeichef wurde sein Assistent Mondrong Khenrab Kunsang.

Abbildung 4: Polizei-Einheit von Lhasa, 1923/24 (Rhodes, 2006, plate 24)

Abbildung 5: Mondrong Khenrab Kunsang (mit Kamera). Aufnahme der Ernst Schäfer Expedition.

3. Tibetische Polizei nach 1925

Laut Jamyang Norbu (2015) wurde die von Laden La aufgebaute Polizeieinheit bald vernachlässigt(3) und (wohl noch vor dem Tod des 13. Dalai Lamas im Dezember 1933) durch eine in den Distrikten Lhatse (lHa rtse), Ngamring und Phuntsokling (Phun tshogs gling) in Tö (sTod; Westtibet) rekrutierte Gruppe von Bauernsöhnen ersetzt. Die Familien, die einen Sohn für diese neue Polizeieinheit stellten, wurden von den üblichen Steuern auf Weide- oder Ackerland befreit. Diese Polizeitruppe wurde gemäß den genannten Distrikten unter dem Namen Lha-Ngam-Phun Sum bekannt(4), erhielt nur eine sehr mangelhafte Ausbildung, war schlecht bezahlt und ineffizient.

Abbildung 6:  Polizist der „Lha-Ngam-Phun Sum” Truppe.  Photo – Lowell Thomas (Jamyang Norbu, 2015)


Unter der Regentschaft von Tagtra (sTag brag) löste man diese Truppe im Jahr 1948  auf und ersetzte sie durch eine neue Polizei-Einheit, die aus Mitgliedern eines Artillerie Regimentes gebildet wurde, welches seinerseits in den 1920ger Jahren aus dem Kusung Makar (sku srung dmag sgar; „Leibwachen-Regiment“) hervorgegangen war. Die moderne Polizei war als Abteilung des Cha-dang Regiments weiterhin Teil der Armee (Jamyang Norbu, 2015).

Abbildung 7: Lhasa-Polizei (c. 1948?)
(Posted by Jamyang Norbu on Thursday, March 5th, 2015 at 10:56 am )

      
Abbildung 8: Tibetisches Polizei-Abzeichen, verziert mit einem Paar stehender Schneelöwen, welche ein Rad (chos ‘khor „Rad der Religion“) hochhalten. Darunter erscheint in zwei Panelen folgende Inschrift: bod gzhung/pu li si  (“Tibetische Regierung/Polizei”). Die untere Inschrift erscheint Kopf stehend, was daran liegen mag, dass das Abzeichen ursprünglich in zwei Teilen gegossen und das untere Teil des Abzeichens versehentlich falsch an das obere Teil gelötet wurde. Möglicherweise kann man dieses Abzeichen der Lha ngam phun sum (lha ngam phun gsum) genannten Polizeitruppe zuschreiben. Sammlung Bhupendra Narayan Shrestha (Nepal) 

Abbildung 9: Abzeichen der Leibwache (des Dalai Lamas) (sku srung). Sammlung Bhupendra Narayan Shrestha (Nepal).

 

Abbildung 10: Bronze-Abzeichen der unter der Regentschaft von Tagtra eingerichteten Polizeitruppe welches einen nach links schreitenden Schneelöwen vor dem Berg Kailash zeigt. Oben die Silbe „cha“ bezeichnet die Zugehörigkeit zum Cha-Regiment (Cha-dang); das Spruchband unten lautet: g.yul rgyal sku srung dmag sgar („Siegreich in der Schlacht, Militärlager des Leibwachenregiments“). Sammlung Bhupendra Narayan Shrestha (Nepal).

 

4. Anmerkungen

(1) Mc Kay (1997) hält das Gerücht für möglicherweise glaubhaft und führt in diesem Zusammenhang den Titel eines für die Forschung unzugänglichen Dokumentes im Nationalarchiv von Neu Delhi an. Mc Kays Aussagen zu einem angeblichen Coup-Versuch  von 1924 werden von Deki und Nicholas Rhodes (2003 und 2006) angezweifelt. 
(2) Colonel Bailey, der Britische  Politische Offizier von Sikkim, der Lhasa im Juli 1924 besuchte, gibt jedoch ein sehr positives Urteil über die von Laden La geführte Polizei-Einheit von Lhasa ab: “Laden La has organized a very creditable police for Lhasa city. The men are smart and dressed in thick khaki serge in winter, and blue with yellow piping in summer. They are stationed in different parts of the city (in police boxes. JN). The fact of their presence has reduced crime in the city considerably and the inhabitants appreciate this.” Zitiert von Jamyang Norbu (2015) aus einer Veröffentlichung von Purshottom Mehra (1979, S. 37-38). Jamyang Norbu (2015) erwähnt noch Folgendes: "The police force also had a bagpipe band (Tib: pegpa), which Bailey took credit for introducing. My late mother remembered that as a child she would approach the Banakshol police box close to her house, and hold out a British Guard doll (with Bearskin cap) that her father had brought her from India. The policeman on duty would give it a smart “present-arms” salute with his rifle".                    
(3) In einer chinesischen Publikation wird berichtet, dass (wohl noch zu Lebzeiten des 13. Dalai Lamas) die von Laden La ernannten Polizei-Offiziere entlassen wurden und danach die Polizeieinheit, die aus nur noch 50 Mann bestand, dem Bürgermeister von Lhasa unterstellt wurde (Wang Jiawei und Nyima Gyaincain, 2001, S. 142).
(4) Gyaltse Namgyal Wangdue ist jedoch der Auffassung, dass die Einheit Lhangam Phunsum (lha ngam phun gsum) schon vor dem Eintreffen von Laden La in Lhasa bestand, dem Dadang-Regiment zugeordnet war und von Laden La reformiert und trainiert wurde (Gyaltse Namgyal Wangdue, 2010, vol. 2, S. 39).

5. Bibliographie

Bertsch, Wolfgang: “Tibetan Army Badges”. The Tibet Journal, vol. 26, no. 1, spring 2001, S. 35-72.
Gyaltse Namgyal Wangdue (translated by Yeshi Dhondup): Political & Military History of Tibet. Vol. II, Library of Tibetan Works & Archives, Dharamsala, 2010.
(Übersetzung der tibetisch-sprachigen Originalausgabe: rGyal rtse rnam rgyal dbang ‘dus: Bod rgyal khab kyi chab srid dang ‘brel ba’i dmag don lo rgyus, rda ram sa la, 2003)
Jamyang Norbu: The Lhasa Ripper. A Preliminary Investigation into the “Dark Underbelly” of Social Life in the Holy City, Blog, 2015.
http://www.jamyangnorbu.com/blog/2015/03/22/the-lhasa-ripper/
Mc Kay, Alex: “Tibet 1924: A very British Coup Attempt?” Journal of the Royal Asiatic Society, Third Series, vol. 7, part 3, London, 1997, S. 411-24.
Mehra, Purshottom:  The North-Eastern Frontier: A Documentary Study of the Internecine Rivalry between India, Tibet and China, Oxford University Press, New Delhi, 1979, vol.2.
Mehra. P.L. : "Lhasa's Army and Police Forces" South Asia Defence And Strategic Year Book - 2009, edited by Col. Harjeet Singh (Retd), Pentagon Press. New Delhi 2009, S. 123-130
Rhodes, Deki and Nicholas: “Sonam Wangfel Laden La – Tibet 1924 and 1930”. Tibet Journal, vol. 28, no. 4, Winter 2003, S. 77-90.
Rhodes, Nicholas and Deki: A Man of the Frontier. S.W. Laden La (1876-1936). His Life & Times in Darjeeling and Tibet. Library of Numismatic Studies, Kolkata 2006.
Shakabpa, Tsepon Wangchuk Deden: One Hundred Thousand Moons: An Advanced Political History of Tibet, second vol. Brill, Leiden 2009, S. 812.
Spence, Heather: “Tsarong II, The Hero of Chaksam, and the Modernisation Struggle in Tibet 1912-1931”. Tibet Journal, Vol. XVI, no. 1, spring 1991, S. 34-57.
Wang Jiawei, Nyima Gyaincain: The Historical Status of China`s Tibet. China Intercontinental  Press, Beijing 2001.

6. Bildnachweise

Abbildungen 1-4 aus dem Besitz der Familie Rhodes (Deki Rhodes). Veröffentlicht in Nicholas and Deki Rhodes, 2006
Abbildung  5 Bundesarchiv, Koblenz (Schäfer Expedition).
Abbildung  6 Lowell Thomas (Jamyang Norbu, 2015)
Abbildung  7 Jamyang Norbu
Abbildungen  8 - 10 Wolfgang Bertsch. Polizeiabzeichen aus der Sammlung von Bhupendra Narayan Shrestha (Nepal). Die Abzeichen von Abbildung 9 und 10 sind publiziert  in Bertsch, Wolfgang: “Tibetan Army Badges”. The Tibet Journal, vol. 26, no. 1, spring 2001, S. 35-72.

Autor: Wolfgang Bertsch, 2016