Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Das Saltoro-Tal bei Haldi kurz vor der Mündung des Saltoro in den Hushe-Fluß (Mai 2012)

Saltoro (Baltistan)

Saltoro (auch Saltoru oder Soltoro genannt) ist die Bezeichnung eines nordöstlich von Khaplu in Ostbaltistan gelegenen Flusses und des dazu gehörenden Flußtales. Dem sich von Osten nach Westen über ca. 50 km erstreckenden Saltoro-Tal ist das Tal des Kondus zuzuordnen, welcher von Norden kommend bei Damsam in den Saltoro mündet. Nach der Gebietsaufteilung Baltistans der 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts umfaßte dieses Gebiet die Kreise Tagas, Pharwa, Kondus und Saltoro. Während das zum Saltoro-Tal gehörende Tagas wegen seiner religiösen Baudenkmäler kultur- und religionsgeschichtlich von großer Bedeutung ist, war die in der Mündung des Saltoro in den Hushe gelegene Burg von Haldi insbesondere im 17. Jahrhundert das mehrfach umkämpfte Zentrum eines nordöstlichen Teilreiches von Khaplu, welches neben dem Saltoro-Tal auch das Hushe-Tal umfaßte. Historisch-geographisch ist auch heute noch die Frage von Bedeutung, ob vom Saltoro-Tal aus ein weiterer Handelsweg über die gewaltigen Gletscher des östlichen Karakorums nach Sinkiang bzw. zum nördlichen Nubra existiert hat. Zumindest mit dem Zugang zum nördlichen Nubra und dem anschließenden Karakorum-Paß hätte es damit zusätzlich zum nördlich von Shigar gelegenen Mustagh-Paß eine weitere Anbindung Baltistans an die Seidenstraße gegeben. Diese Frage ist bis heute nicht definitiv beantwortet. Hinter Haldi beginnt ein militärisches Sperrgebiet, so daß der größte Teil des Saltoro-Tals für Wissenschaftler und Touristen ohne Sondergenehmigung nicht zugänglich ist.

Inhaltsverzeichnis

1. Das Saltoro-Tal und die Suche nach einem weiteren Handelsweg von Baltistan nach Zentralasien
2. Einheimische Berichte über die Verbindung zwischen dem Saltoro-Tal und Turkestan
3. Politische Bedeutung des Saltoro-Tals
4. Bedeutende religiöse Baudenkmäler im Saltoro-Tal
5. Literatur

Abbildung 2: Der Saltoro-Fluß bei Tagas. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

1. Das Saltoro-Tal und die Suche nach einem weiteren Handelsweg von Baltistan nach Zentralasien

Erste Informationen über das Saltoro-Tal verdanken wir Godfrey Thomas Vigne, der diesen Ostteil von Baltistan persönlich bereiste. Nachdem Vignes Wunsch, über den Mustagh-Paß nach Zentralasien zu reisen, nicht erfüllt werden konnte, beschloß er, den Versuch zu unternehmen, über die östlichen-Gletscher des Karakorum nach Nubra vorzudringen. Vigne beschreibt, daß er nach der Überquerung des Shayok vom Dorf Ghortsuh ausgehend einen Bergrücken überquerte, von dem aus das „Saltoru“-Tal mit mehreren Dörfern und einem größeren Wasserlauf sichtbar wurde. Das von Vigne als Gortsuh beschriebene Dorf ist vermutlich identisch mit dem auf der Karte „India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03, Mundik verzeichneten Gurtse Gönpa (siehe Abb. 3). Vigne benötigte drei Tage, um das letzte Dorf des Saltoro-Tals zu erreichen. Dieses dürfte mit dem auf der Karte von Abb. 5 verzeichneten Goma identisch sein. Von Goma aus versuchte Vigne, den von den Eheleuten Workman als „Bilaphond glacier“ beschriebenen Gletscher (siehe Abb. 6 - 8) zu überqueren, mußte aber wegen der schlechten Wetterbedingungen aufgeben und ins Saltoro-Tal zurückkehren. Auf seinem Rückweg versuchte er über das Kondus-Tal nach Norden zu reisen. Er erreichte Kondus und die nordöstlich dieses Ortes gelegenen heißen Quellen, um dann seinen Vorstoß abzubrechen und nach Khaplu zurückzukehren. Sein vorstehend beschriebener Reiseweg wurde auf der im Jahre 1842 von John Walter nach den Angaben von Godfrey Thomas Vigne im Auftrag der East India Company erstellten Karte verzeichnet (Abb. 4). Von den Orten des Saltoro und Kondus-Tals werden Domsum und Khondur namentlich aufgeführt und der vermutete Reiseweg nach Zentralasien als „Way over Glacier by Alibransa pass to Yarkund“ verzeichnet.  

   

Abbildung 3: Der westliche Teil des Saltoro-Tales nach "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03, Mundik. Vignes Ausgangspunkt: Gurtse Gönpa

 

Abbildung 4: Vignes Reiseroute im Saltoro-Tal zu den Gletschern des östlichen Karakorums

Vignes Suche nach einer Route, die eine Anbindung von Ostbaltistan an die Seidenstraße darstellt, beschäftigt die Forschung bis heute. Dabei ist zu beachten, daß die Hauptverbindung zwischen Zentralasien und Kaschmir über den Karakorum-Paß sowie Nubra und Ladakh verlief. Die einzige bekannte direkte Verbindung von Baltistan nach Kaschgar führte über den  im Sommer nur kurzzeitig begehbaren Mustagh-Paß, den man von Shigar aus erreichen konnte. Eine Verbindung nach Hunza war durch den Hispar-Paß gegeben (siehe Abb.5). Der in der Karte (Abb. 5) der Eheleute Workman verzeichnete sogenannte „Turkestan La“ stellt nach Workmans eigenen Angaben nur einen vermuteten Übergang dar, den die Workmans als für einen Handelsweg völlig ungeeignet einschätzten.

Abbildung 5: Das Saltoro- und Kondus Tal (rot umrandet) und die mit den Zahlen 1 - 3 bezeichneten Gletscherrouten, die als mögliche Wegverbindungen nach Zentralasien untersucht wurden

T. G. Longstaff bezeichnet den möglichen Übergang vom östlichen Baltistan nach Turkestan als Saltoro-Paß, den er wie Vigne oberhalb des Bilaphond-Gletschers (Longstaff schreibt „Bilafond“, Abbildungen 5a, 6 - 9) lokalisierte und den er auf seiner Expedition des Jahres 1909 als nicht passierbar erachtete. Die Route über den Bilaphond-Gletscher ist in der Karte von Abb. 5 mit der Nummer 3 gekennzeichnet.

Abbildung 5a: Das Saltoro-Tal und und der Saltoro-Pass nach Longstaff

      

 Abbildung 6: Der Bilaphond-Gletscher im Jahre 1909 nach Longstaff, S. 628

 

Abbildung 7: Der Bilaphond-Gletscher nach Workman         

 

Abbildung 8: Abgehende Lawinen am Bilaphond-Gletscher nach Workman

Zur generellen Einschätzung, ob eine für den Handel begehbare Route, die auch als Einfallstor für räuberische Überfälle aus Zentralasien nach Saltoro geeignet gewesen wäre, überhaupt existiert haben kann, ist zunächst zu beachten, daß der sich westlich des Karakorum-Paß von Südosten nach Nordwesten erstreckende, 700 km2 große Siachen-Gletscher eine schwer zu überwindende Barriere zwischen Ostbaltistan und Zentralasien darstellt (Abb. 10). Um eine Einschätzung seiner gewaltigen Größe zu vermitteln, sei auf die Abb. 11 verwiesen, die dem Buch der Eheleute Workman entnommen wurde. Anzumerken ist, daß der ca. 70 km lange Gletscher seit etwa drei Jahrzehnten zwischen Pakistan und Indien heftig umkämpft ist und daß beide Länder im Bereich des Gletschers tausende Soldaten stationiert haben.

   

 Abbildung 9: Der angebliche Saltoro-Paß oberhalb des Bilaphond-Gletschers nach Longstaff

 

Abbildung 10: Der Siachen-Gletscher nach Jesse Allen, Earth Observatory; University of Maryland's Global Land Cover Facility

 Abbildung 11: Der Siachen-Gletscher nach Workman

Fanny Bullock Workman und ihrem Mann William Hunter Workman, die in den Jahren zwischen 1898 und 1912 mehrmals das Saltoro-Tal zur Erkundung der Berge und Gletscher des östlichen Baltistans bereisten, verdanken wir eine sehr detaillierte Karte, in der zahlreiche Orte des Saltoro- und des Kondus-Tals aufgeführt sind (Abb. 12). Die Eheleute Workman erkundeten noch zwei weitere Routen, die zu dem sogenannten Turkestan La führten. Ausgangspunkt war in beiden Fällen das im Kondus-Tal gelegene Karmading (Abb. 15). Ich habe in der Karte von Abb. 5 diese Routen mit den Zahlen 1 und 2 bezeichnet. Die Route 1 führte über den Kaberi- bzw. Kondus-Gletscher (Abb. 13). Bei der Route 2 mußte man den Sher-pi-gang-Gletscher (Abb. 14) und weitere Eisfelder durchqueren.

Abbildung 12: Workmans Karte von Ostbaltistan mit dem Hushe- und Saltoro-Tal. Die Region Saltoro und Kondus ist violett gekennzeichnet

 Abbildung 13: Der Kaberi-Gletscher nach Workman

 Abbildung 14: Der Sher-pi-gang-Gletscher nach Workman

Sowohl die Eheleute Workman als auch Longstaff konnten keine Route nach Zentralasien entdecken, die ihrer Meinung nach als Handelsweg benutzbar war. Den Workmans verdanken wir auch die Veröffentlichung mehrerer Photos, die neben dem Saltoro-Tal (Abb. 16) auch die Orte Tsheno (Abb. 17) und Haldi (Abb.18) und die Mündung des Kondus in den Saltoro bei Damsam (Abb. 19) zeigen. Abgesehen von einem wichtigen Photo einer Moschee in Tagas (Abb. 20) werden detaillierte Informationen über die Einwohner und die Kulturdenkmäler oder historisch wichtige Bauwerke, wie die Burg von Haldi, weder von den Workmans noch von Longstaff vermittelt.

      

Abbildung 15: Das im Kondus-Tal gelegene Karmading nach Workman

 Abbildung 16: Das Saltoro-Tal nach Workman 

Abbildung 17: Die Oase Tsheno im Saltoro-Tal nach Workman

      

Abbildung 18: Haldi an der Mündung des Saltoro in den Hushe nach Workman. Siehe auch Abbildung 1

 

Abbildung 19: Damsam am Zusammenfluss des Saltoro und des Kondus nach Workman

 

Abbildung 20: Moschee in Tagas nach Workman

Wenige Jahre nach Longstaff und den Eheleuten Workman, im Winter 1913/14, bereiste Giotto Dainelli im Rahmen der Expedition von Filippo de Filippi das Saltoro-Tal. Der erste Ort, den er im Saltoro-Tal erreichte, war Pharon, wo er einige alte Moscheen vorfand. Anschließend unternahm der ein Erkundungsreise zum Bilaphond-Gletscher und zum Sher-pi-gang-Gletscher. Die Gletscher des östlichen Karakorum wurden in der Folgezeit bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts von weiteren Bergsteigerexpeditionen erkundet.

Eine beste Beschreibung des in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblichen Reiseweges ins Saltoro-Tal findet sich im „Tourist´s Guide“ von Arthur Neve (S. 124). Hiernach führte der Weg von Khaplu aus über einen ca. 500 m hohen Bergrücken nach Yungchung und anschließend nach Sirmu (~Surmo), wo man mit dem Zak den Saltoro überquerte. Nach 1 ¾ Stunden anschließendem Marsch in Richtung Nordwesten erreicht man Gourtse(~Gortsuh, Gurtse), welches von Neve als „group of small hamlets extending for some miles up the flat valley“ beschrieben wird. Für diese gesamte Strecke veranschlagt Neve 12 Meilen. Von Gourtse aus erreicht man nach 9 Meilen Parao (~Pharon, Paron). Diese Strecke reiste Dainelli. Vigne düfte den gleichen Weg gewählt haben. Von Gurtse aus führt ein weiterer Weg in nördlicher Richtung am linken Ufer des Hushe-Flusses ins Hushe-Tal. Diesen Weg haben die Workmans gewählt, um dann unmittelbar nach der Mündung des Saltoro in den Hushe-Fluss die Oase Haldi zu errreichen. Von hier aus führt sie der Weg über Orte wie Tagas und Tsheno nach Osten. Insofern alle diese Forschungsreisenden das rechte Ufer des Hushe vor dessen Mündung in den Shayok nicht bereist haben, blieben wichtige Orte des Hushe-Tales wie z.B. Saling und Machulu unerwähnt. Die restlichen Beschreibungen von Neve über den Weg bis Goma und dessen Weiterführung über den Bilaphond-Gletscher sind so informativ, daß sie hier wörtlich zitiert werden:

3. Parao (~Pharon, Paron) to Mandi (~Mandik), 12 miles. – Two hours on stony flat to Dumsuma (~Damsam) junction of Kundus and Saltoro. A bridge and some noteworthy ancient Buddhist rock drawings ; then 3 hours steady up hill stony, in gorge, at Mandi it opens out, some cultivation ; total self 5 hours, coolies 8 hours, hight 10,800 feet.

4. Mandi to Goma, 6 miles. – Half stage, almost level, and chiefly through cultivation, cross and recross the river. This is last village. Coolies 3 ½ hours.

5. Goma to Ghiaru, 3 hours. – Cross both streams (bridge) then up right bank of Bilaphond, pass 3 glaciers, above third a wide level valley with groves of willows, flowers and clear streams. Lovely camp ¼ mile below snout of main glacier.

From Ghiaru the Saltoro Pass can be crossed on 3rd day camping at Narm (coolies 8 hours). Ali Bransa (8 hours) ; cross pass 2 ½ hours snow field and glacier for 3 hours, to the Terim Sia-Chen glacier ; and 2 marches down to the head of Nubra Valley but this is impassable owing to the unfordable river from April to mid-September.

 Abbildung 21: Das Saltoro-Tal ab Pharon nach „India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-04, Chulung

Die Darlegungen von Arthur Neve, der übrigens für einige Wochen auch Longstaff auf dessen Expedition begleitet hat, verdeutlichen wiederum, daß ein Handelsweg vom Saltoro-Tal über den Bilaphond- und Siachen-Gletscher nach Nubra und zum Karakorum-Paß impraktikabel war, zumal entlang des Shayok nach Nubra ein wesentlich einfacher zu begehender Weg existierte (Neve, S. 102).

2. Einheimische Berichte über die Verbindung zwischen dem Saltoro-Tal und Turkestan

Als Vigne in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts den Versuch unternahm, über den Bilaphond-Gletscher nach Zentralasien oder wenigstens nach Nubra vorzustoßen, folgte er dem Hinweis von Balti-Informanten, daß vom Saltoro-Tal ausgehend ein entsprechender Handelsweg nach Yarkand existierte. Nach den Märchen und Sagen der Einwohner des Saltoro-Tals soll es in der Vergangenheit solch eine Verbindung gegeben haben. Workman (S. 161) referiert eine solche Sage mit den folgenden Worten:

“The now deserted Ghyari nala was in ancient times densely inhabited to the tongue of the Bilaphond glacier. The Baltis of that time were supposed to have crossed the Bilaphond La and met the Yarkandis of Tarim Shehr, with whom they played polo. … The Baltis feared the Yarkandis, who are said to have often crossed to the Ghyari nala to " loot " cattle and destroy property in the villages. On one occasion they kidnapped one of the "best looking" Balti women, who was working in the fields. An important mullah or priest, named Hazrat Ameer, happened to be in the village at the time. He gave the enraged Baltis a taiviz magic amulet, and told them to put it at once on the summit of the Bilaphond pass, and ordered them after so doing not to return home the same way, but to go around via Yarkand. The Baltis, having placed the tawiz on the pass, disobeyed the priest's orders, and returned to their village the same way from the pass. Soon afterwards a great storm visited Tarim Shehr, and the snow from the mountains slipped and fell upon the city, destroying it and its people, including those who had stolen the woman.”

Dainelli (S. 108) referiert den Bericht eines Mannes aus Tagas, daß zu Lebzeiten seines Vaters Leute zum Paß oberhalb des Bilaphond-Gletschers hinaufgestiegen seien und man vor dort aus über einen weiteren Paß nach Yarkand weiterreisen konnte. Andere Einwohner des Saltoro-Tals berichteten Dainelli, daß die persischen Geistlichen, die in Baltistan den Islam einführten, über einen Paß am Ende des Kondus-Tals aus Yarkand nach Baltistan gekommen seien.

Erzählungen und Sagen von der vorstehend beschriebenen Art bildeten dann auch die Grundlage für die folgenden Thesen, die sich in Hashmatullah Khans „Geschichtswerk“ finden (S. 121):

„During the times when this road between Khapulu and Yarkand was opened, the Yarqandi Kazakh used to enter Khapulu through Kundus whenever they found an opportunity in spring, pillaging and killing, distressing the people greatly. With the enlargement of the Siachen Glacier this road became inaccessible, saving the populace from these murderous inroads. This incident dates from the time of Shah Nasir Tusi´s presence in Khapulu and it is also ascribed to him as one of his miracles. In any case, it proves that this natural phenomenon occurred at the time of Shah Nasir Tusi´s sojourn to Khapulu.”

Solange handfeste Belege über die Benutzung der Pässe des östlichen Karakorum für den Warenverkehr etc. mit Yarkand nicht vorgelegt werden können, sind diese Äußerungen von Hashmatullah Khan historisch so zu bewerten wie seine Quellen. Diese sind Sagen und Märchen.

Der einzige uns bisher vorliegende Bericht über einen Einfall aus Yarkand nach Baltistan und Khaplu findet sich in Mirza Haidars Tarikh-i-Rashidi (S. 422). Hier beschreibt Mirza Haidar den Raubzug seines Oberherrn Sultan Said Khan mit einem Gefolge von 1000 Kriegern nach Baltistan im Jahre 1532/1533. Baltistan war als Region für den Raubzug von Said Khan deshalb als geeignet ausgewählt worden, weil der an Höhenkrankheit leidende Sultan aus Nubra kommend bei dieser Operation tiefer gelegene Gebiete erreichte und keine hohen Pässe überqueren mußte. Jedenfalls ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß der höhenkranke Said Khan nicht die Pässe des Siachen-Gletschers überquert hat.

3. Politische Bedeutung des Saltoro-Tals

Zur Zeit der Teilung des Königreichs Khaplu im 17. Jahrhundert war die in der Mündung des Saltoro in den Hushe gelegene Burg von Haldi (Abb. 22-23) offenbar das politische Zentrum dieses kleinen Teilstaates von Khaplu, der das Hushe-Tal und das Saltoro-Tal umfaßte. Eine weitere Burg existierte in Tsheno (~Chino, Sino, Abb. 24). Die Burg von Haldi war in den kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts mehrfach umkämpft. Kämpfe um die Burg von Tsheno werden nur für das Jahr 1733 in einer ladakhischen Urkunde erwähnt. Von beiden Burgen sind heute nur noch Trümmerreste übriggeblieben. Nach der Volkszählung von 1951 lebten in der Region Saltoro – Kondus 5524 Menschen. 1961 wurden 6097 Personen gezählt. Im Hushe-Tal einschließlich Saling lebten 1951 2785 Personen, 1961 waren es 3018. Das kleine Teilreich von Khaplu dürfte in der Zeit seines Bestehens kaum mehr als 8000 Untertanen gehabt haben.

Heute erreicht man das Saltoro-Tal, indem man wenige Kilometer östlich von Khaplu  zunächst über eine mit dem Auto befahrbare Brücke bis Saling fährt. Von Saling aus führt eine ebenfalls für Kraftwagen befahrbare Straße weiter nach Norden über Machulu nach Talis. Kurz hinter Talis überquert man dann wiederum auf einer Brücke den Hushe-Fluß und erreicht nach relativ kurzer Fahrt das südlich dieser Brücke gelegenen Haldi. Durch das Saltoro-Tal führt heute eine strategisch wichtige Nachschubroute für die am Siachen-Gletscher stationierten Soldaten der pakistanischen Armee.

Abbildung 22: Der Felsen der Burg (unten rechts) der Oase Haldi (Mitte links) in der Flußmündung des Saltoro in den Hushe (Mai 2012)

Abbidung 23: Trümmerfeld mit den Resten der ehemaligen Burg von Haldi auf dem Plateau des Burgbergs (Mai 2012)

Abbildung 24: Felsen mit der zerstörten Bergfestung von Tsheno. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

4. Bedeutende religiöse Baudenkmäler im Saltoro-Tal

Auf die besondere kulturgeschichtliche Bedeutung bestimmter religiöser Bauten im Saltoro-Tal hat als erster Hashmatullah Khan (S. 120, 146) hingewiesen. Er beschreibt eine alte Moschee in Tagas, die nach einer Inschrift auf dem Rahmen der Gebetsnische (Mihrab) im Jahre 1603 errichtet wurde. Als Erbauer erwähnt er zwei Brüder, nämlich Syed Nasir Tusi und Syed Ali Tusi. Über die Moschee, die er als „highly exquisite“ charakterisiert, schreibt er (S. 146): "The mosque still exists in a state of disrepair.“ A. H. Dani hat auf der Suche nach historischen Monumenten in Baltistan in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Saltoro-Tal bereist und diese Moschee in Tagas gesucht. Hierzu schreibt er (S. 141): „The mosque is standing on the edge of a small nala. The old mosque, which was a gem of wooden architecture up to 1972, was burnt and washed away by the flood of the rivulet. In its place a new mud brick structure has now been built.” Der Rahmen der alten Gebetsnische mit der von Hashmatullah Khan beschriebenen Inschrift wurde wiederverwendet. Glücklicherweise existiert ein altes Photo von dieser inzwischen zerstörten Moschee, welches von den Eheleuten Workman veröffentlicht wurde (siehe Abb. 20).

Dani (S. 141ff) hat sowohl die Khanqa-Gebetshalle von Haldi wie auch die Khanqa und die Astanas von Tagas beschrieben und Grundrißpläne dieser Anlage von Tagas veröffentlicht. Die Khanqa-Gebetshalle von Tagas wie auch eines der zugehörigen Astanas sind in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtet worden. Die Astanas von Tagas wurden inzwischen in einer Art und Weise restauriert, die einer Zerstörung der alten Baulichkeiten und einem Neubau gleichkommt.

Abbildung 25: Astanas und Khanqa-Gebetshalle von Tagas. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 26: Die Astanas von Mir Aref und Mir Ishaq in Tagas nach ihrem Neubau. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 27: Innenraum der Khanqa von Tagas. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 28: Die Khanqa-Gebetshalle von Haldi. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 29: Innenraum der Khanqa von Haldi. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 30: Khanqa-Gebetshalle von Tsheno. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 31: Innenraum der Khanqa von Tsheno. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

5. Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Giotto Dainelli: Escursioni invernali nel Baltistan. In: Filippo De Filippi: Storia della spedizione scientifica Italiana nel Himalaia Caracorum e Turchestan Cinese (1913-1914). Bologna 1923, S. 79 – 109.
Ahmad Hasan Dani: Islamic Architecture. The Wooden Style of Northern Pakistan. Islamabad 1989
Mirza Haidar: The Tarikh-i-Rashidi of Mirza Muhammad Gaidar, Dughlát. A History of the Mo-ghuls of Central Asia. An English Version. Edited, with Commentary, Notes and Map by N. Elias. The Translation by E. Denison Ross. London 1895
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht
T. G. Longstaff: Glacier Exploration in the Eastern Karakoram. The Geographical Journal, Vol. 35, No. 6 (Jun., 1910), pp. 622-653
Arthur Neve; The Tourist´s Guide to Kashmir, Ladakh, Skardo, &c. Lahore o.J. Eighteenth Edition. Lahore o.J.
Dieter Schuh: Reise in die Geschichte Baltistans, 3 Bd. Andiast 2011
Godfrey Thomas Vigne: Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo. The Countries Adjoining the Mountain-Course of the Indus and the Himalaya North of the Punjab. Volume II, London 2005. Nachdruck der Ausgabe von 1842
Fanny Bullock Workman and William Hunter Workman: Two Summers in the Ice-Wilds of Eastern Karakoram. The Exploration of nineteen hundred Square Miles of Mountain and Glacier. New York [1917]

Autor: Dieter Schuh, 2012

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