Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Karte von Drass. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-07. 1:250.000. Kargil

 Drass (Kargil-Distrikt, Purig)

Drass (~ Dras ~ Duras ~ Dias ~ Diriras ~ Drās ~ Him-bab ~ Hem-babs ~ He-´ bab) bildet den westlichsten Teil des tibetischen Hochlandes. Von Kaschmir aus war es das über den Pass Zoji La erreichbare Eingangstor zu der früher von seinen westlichen und südlichen Nachbarn "Kleintibet" genannten Region, die neben dem östlich von Drass gelegenen Purig auch das nördlich gelegene Baltistan umfasste. Im Unterschied zu Baltistan und Purig, deren Einwohner in der Hauptmasse einen tibetischen Dialekt sprechen, ist die Landessprache Shina (Brokskat), welches der Dardischen Sprachgruppe zu geordnet wird. Heute gehört Drass als „Block“ bezeichnete regionale Einheit zum Kargil-Distrikt und umfasst die „Panchayats“ Bhimbet, Chowkiyal, Drass, Goshan, Holiyal, Kaksar, Kharboo, Mushkoo, Pandrass und Trongjon. Nach dem Census of India 2001 lebten in 2001 in Drass 11.662 Personen. Vor 1900 dürfte die Zahl der Einwohner kaum mehr als 5000-6000 Personen umfasst haben. Die Hauptorte von Drass liegen zumeist hoch über dem Ufer des Drass-Flusses und sind heute durch eine asphaltierte, gut befahrbare Strasse, die vom Soji La nach Kargil führt, miteinander verbunden. Vor dem 19. Jahrhundert war Drass für den Handel zwischen Ladakh und Kaschmir ein wichtiges Durchgangsland, profitierte aber von diesem Handel kaum. Die Einwohner von Drass sind Muslime und gehören in ihrer Mehrzahl der Shiitischen Sekte an. Allerdings existieren noch einige Dörfer, wie z. b. Kharbu, die mehrheitlich von Angehörigen der in Baltistan mehr verbreiteten Nūrbakhshīya-Sekte bewohnt werden.

Da der Pass Zoji La im Winter ca. 6 Monate wegen Schneefalls unpassierbar ist, waren die Bewohner von Drass während dieser Zeit fast vollständig von der Aussenwelt abgetrennt. Dies ist auch heute noch weitgehend der Fall. Drass wird auch als zweitkälteste bewohnbare Gegend der Erde bezeichnet. Allerdings sind die Temperaturen im Sommer durchaus erträglich. Waren früher Ackerbau und Viehzucht die einzige nennenswerte Einkommensquelle in Drass, welches in Reisebeschreibungen als karge und völlig verarmte Region beschrieben wurde, so ändert sich heutzutage diese Situation erheblich. Drass-Stadt entwickelt sich zu einem Handelszentrum für die ganze Region, dessen Dörfer durch intensiven Strassenausbau inzwischen gut erschlossen sind. Investitionen in die Infastruktur, wie z. B. der Bau von Schulen, sind unübersehbar. Augenfällig ist die grosse Zahl von militärischen Einrichtungen, die offenbar nach dem sogenannten Kargil-Krieg zwischen Indien und Pakistan von 1999, in dem Teile von Drass heftig umkämpft waren, errichtet worden sind. Zu erwähnen ist auch eine intersive Bautätigkeit, die das Ortsbild in einigen Gegenden durch den Neubau moderner Häuser radikal verändert. Schliesslich sind auch Anstrengungen zur Aufforstung in den Oasen gleichenden Dörfern von Drass bemerkenswert.

Da Drass und der Kargil-Distrikt von Touristen als Durchgangsland auf dem Weg in den buddhistischen Himmel Ladakh nur als lästige Zwischenetappe betrachtet wird, findet die teilweise atemberaubende Schönheit der Landschaft von Drass kaum Niederschlag in den Reiseberichten über dieses Land. Entsprechend ist auch die touristische Infrastruktur völlig unterentwickelt. 

Abbildung 2: Strasse zum Zoji La am 18. August 2014. Der Pass ist wegen Bauarbeiten zwischen 11 und 15 Uhr gesperrt, weshalb es regelmässig zu einem langen Verkehrsstau kommt

Abbildung 3: Typische Oasenlandschaft von Drass. Hier der Ort Chumal am Ufer des Drass-Flusses zwischen Drass-Stadt und Kharbu, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

Inhaltsverzeichnis

1 Frühe Erkundungsgeschichte und Geographie
1.1 Berichte von Ippolito Desideri (1715)
1.2 Berichte von Izzet Ullah (1812), Thomas Thomson (1847/48), De Filippi (1909) und anderen Reisenden
1.2.1 Matayan
1.2.2 Alpine Landschaft zwischen Zoji La und Drass Stadt
1.2.3 Pandras
1.2.4 Das Tal von Drass-Stadt
1.2.4.1 Murad Bagh
1.2.4.2 Drass-Stadt
1.2.4.3 Goshan
1.2.4.4 Die Dogra Festung von Drass-Stadt
1.2.4.5 Passverbindungen nach Osten
1.3 Der östliche Teil von Drass
1.3.1 Die nördliche Grenzregion von Drass
1.3.2 Kharbu, das nordöstliche, bewachte Eingangstor von Drass
1.3.3 Kaksar
1.3.4 Chowkiyal und Bhimbat
1.4 Übersichtstafel der Panchayats, Dörfer (“villages”), Hamlets (Habitations) und Einwohnerzahlen von Drass
2 Zur Geschichte von Drass
2.1 Frühgeschichte
2.1.1 Felszeichnungen (Petroglyphe)
2.1.2 Buddhistische Altertümer aus Drass
2.2 Kriegerische Einfälle aus Kaschmir und Ladakh in Drass und Purig in der Zeit vom 15. bis zum 16. Jahrhundert
2.3 Anmerkungen zur frühen Islamisierung von Drass und Purig
2.4 Drass im 17. Jahrhundert
2.5 Drass vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn der Dogra-Herrschaft
3 Literatur

1 Frühe Erkundungsgeschichte und Geographie

1.1 Berichte von Ippolito Desideri (1715)

Frühe Informationen über Drass verdanken wir Ippolito Desideri, der diese Region im Jahre 1715 auf seinem Weg von Kaschmir nach Lhasa im Juni1715 durchreiste. Nach der Übersetzung von De Filippi (S. 74f, siehe auch Petech, S. 163)) berichtete Desideri folgendes zu der Überschreitung des Zoji La: „On the thirtieth of May, which was Ascension Day, we began to ascent the mountain covered with deep snow and hard ice. Heavy snow fell all day long. In the evening we arrived at the first inhabitated spot of First or Lesser Thibet at the foot of the other side of Mount Kantel.“ Desideri erwähnt keine Ortsnamen, beschreibt aber die anschliessend durchreiste Gegend von Drass wie folgt (De Filippi, S. 75, siehe auch Petech, S. 164): „There are no cities, only villages, and the houses are generally more than half burried underground. The only crops are barley, wheat, a few vegetables, and appricots. The region of this people was originally the same as in Second Thibet, but as they are now under the Emperor of Mogol, nearly all have become Muhammadans. The country is governed by the Subà of Kascimir who, with the Emperor’s permission, send governors of inferior rank in his stead, as the district is small.“ Nach De Filippi (S. 378, siehe auch Petech, S. 24) erwähnt Desideri in einem Brief an den „Father General“ ein Dorf mit dem Namen „Dias“ (~ Drass) als „first fortress or population of this Kingdom.“

Interessant sind Desideris Bemerkungen über den Zustand des Weges zwischen Kaschmir und Ladakh (De Filippi, S. 76f): „The journey from Kascimir to Latà [Ladakh], which takes forty days, can only be accomplished on foot. The path, so narrow that we were obliged to go in single file, leads up the sides of very high and terrible mountains ; in places it had been destroyed by avalanches or heavy rains and there was no footholds … Many of the men who, as I have said, go from Kascimir to fetch loads of wool, lose their lives or are crippled for ever … In some places there was really no road at all, only large boulders and rocks covered the ground, over which we had to climb like goats with great trouble and difficulty. As no animal can travel over such a bad road, the whole journey from Kascimir to Lhatà, which as I have already said, takes forty days, must be done on foot and, as the land produces nothing and is sparsely inhabited, all provisions – that is rice, vegetables and butter, as well as luggage – must be carried by men.“

1.2 Berichte von Izzet Ullah (1812), Thomas Thomson (1847/48) , De Filippi (1909) und anderen Reisenden

Der nächste Reisebericht über einen Besuch von Drass stammt von Izzet Ullah, der 1812 von Moorcroft entsandt worden war, um bestimmte Gebiete in Ladakh und Zentralasien zu erkunden. Ein Auszug aus seinen Reiseberichten wurde 1825 unter dem Titel „Travels beyond the Himalaya“ in der Zeitschrift „The Quarterly Oriental Magazine“ veröffentlicht. Izzet Ullah verlies Kaschmir am 16. September 1812 und erreichte Leh am 31. Oktober des gleichen Jahres.

1.2.1 Matayan

Als ersten Ort in Drass erwähnt Izzet Ullah (S. 104) den Ort Matayén (~ Matayan ~ Matayun ~ Maten ~ Mutyu ~ Mutajun) „ a village on the right bank of the river of Little Tibet : the inhabitants are mostly Musselmans of the Suni sect.“ Sein Hinweis, dass die Einwohner eine tibetische Sprache sprechen, ist offensichtlich falsch.

Matayan (siehe auch die Karte von Abbildung 1) wurde von vielen Reisenden als erster bzw. letzter Ort von Drass beschrieben, je nachdem, ob man vom Pass Zoji La aus nach Drass einreiste bzw. von Osten kommend in Richtung Zoji La ausreiste. In Vignes Karte von Kaschmir ist der Ort als Mutyu Log Huts verzeichnet. Thomson (S. 267) beschrieb den Ort als „last village of Dras, a small group of stone huts.“ Moorcroft durchreiste den Ort auf seiner Reise von Leh nach Kaschmir und beschrieb ihn folgendermassen (S. 94): "Matayan was a miserable hamlet of half a dozen mean houses of rubble building, and the inhabitants seemed to be wretchedly poor. The flocks and herds, however, were numerous and in good condition.* Drew (S. 225) erwähnt Matāyan als ersten Ort von Drass nach dem Soji La „sixteen mile short of Drās.“ Besondere Beachtung verdient die Beschreibung von Matayan in De Filippis Beschreibung der Expedition des „Duke of the Abbruzzi“ ins Karakorum im Jahr 1909. De Filippi ((1), S. 68): „The path led past the middle of the plain to a group of hovels, so low that a cow had climbed on to the roof of one of them and stood gazing disconsolately from her vantage point upon the heavy cloak of snow covering the pastures. In the muddy square between the hovels other cows and a pony, all extremely thin, wandered aimlessly. A dozen natives, men and children, wretched, ragged and mud covered, watched our passage with indifference. Such is the village Mutajun, over 10,000 feet in altitude. A hundred yards farther on, beyond a small torrent, stands the bungalow, which we reached with joy towards 2 o´clock, and found the Duke had got there two hours before us.“

Es ist schwer zu beurteilen, welcher Teil dieser Darstellungen von Desideri und De Filippi den damaligen Realitäten entsprach und welcher Teil der Schilderungen bedingt durch persönliche Befindlichkeiten und durch die Anstrengungen einer Reise in ein völlig fremdes und zudem feindlich erscheinendes Gebiet mit einer Bergwelt, die zu mindestens Desideri als bedrohlich erschien, negativ gefärbt wurde. Als Desideri und De Filippi nach Drass einreisten, war der westliche  Teil von Drass noch mit Schnee bedeckt und die Häuser erschienen naturgemäss in hohem Schnee kleiner zu sein. Ein Hinweis hierauf findet sich in dem Reisebericht von Jane E. Duncan (S. 25), die zur Schneehöhe im Winter anmerkt. „The snow lies deep here in the winter ; a traveller, after a toilsome march, looked over dreary white wast and asked, „But where is Dras?“ „You are standing on it,“ was the reply. The houses were completely burried.“

Abbildung 4: Matayan vom Westen aus photographiert (18. August 2014)

Abbildung 5: Matayan von Norden aus photographiert. Im Vordergrund ist der Drass-Fluss sichtbar (31. August 2014)

Abbildung 6: Alte und neue Wohnhäuser in Matayan (31. Augst 2014)

Abbildung 7: Erntearbeiten in Matyan (31. August 2014)

Nach dem Census of India 2001 wurde Matayan im Jahre 2001 von 85 Haushalten mit 449 Personen bewohnt. Nach dem Gazetteer of Kashmir and Ladakh (S. 302) befanden sich 1890 in Matayan nur 6 Häuser.

1.2.2 Alpine Landschaft zwischen Zoji La und Drass Stadt

Die interessante alpine Landschaft zwischen dem Zoji La und Matayan wird nur in wenigen Reiseberichten positiv geschildert. Eine der wenigen Ausnahmen bilden Ujfalvy und Isabella Bird Bishop. Károly Jenö Ujfalvy bereiste Dras im Jahre 1881 und beschrieb die Landschaft westlich von Dras Stadt wie folgt (S. 262): “Blumige Wiesenflächen führen sanft zum Sodschila auf. Der Charakter der Gegend fängt, bevor man am Gipfel angelangt ist, allmählich an zu wechseln. Die kahlen Felsen des Indus- und Suruthals verschwinden unter Gras und Strauchwerk, und man gewahrt den Uebergang zu einer anderen Natur.” Isabella Bird Bishop (19. Jahrhundert) beschrieb die Landschaft in Drass wie folgt (S. 30f): „There are no trees, and deep crimson roses along torrent beds are the only shrubs. But for a brief fortnight in June, which chanced to occur during my journey, the valleys and lower slopes present a wonderful aspect of beauty and joyousness. Rose and pale pink primulas fringe the margin of the snow, the dainty Pedicularis tubiflora covers moist spots with its mantle of gold; great yellow and white, and small purple and white anemones, pink and white dianthus, a very large myosotis, bringing the intense blue of heaven down to earth, purple orchids by the water, borage staining whole tracts deep blue, martagon lilies, pale green lilies veined and spotted with brown, yellow, orange, and purple vetches, painter's brush, dwarf dandelions, white clover, filling the air with fragrance, pink and cream asters, chrysanthemums, lychnis, irises, gentian, artemisia, and a hundred others, form the undergrowth of millions of tall Umbelliferae and Compositae, many of them peach−scented and mostly yellow.“

Im August 2014 konnte ich beobachten, dass die alpinen Weidegebiete zwischen den Zoji La and Drass Stadt von Nomaden aus Nord-Indien benutzt werden, die aber Drass im September wieder verlassen.

Abbildung 8: Seitental zwischen Zoji La und Matayan (31. August 2014)

Abbildung 9: Alpine Weidegebiete zwischen Zoji La und Matayan mit Zelten nordindischer Nomaden (31. August 2014)

Abbildung 10: Zeltlager der Bakkarwal-Nomaden aus Jammu und Kaschmir zwischen Pandras und Drass-Stadt (25. August 2014)

Abbildung 11: Bakkarwal-Nomadenfrau mit Kind und Pferd zwischen Pandras und Drass-Stadt (25. August 2014)

Abbildung 12: Bakkarwal-Nomade nach dem Überschreiten des Zoji La in Richtung Kaschmir (31. August 2014)

Abbildung 13: Alpines Weidegebiet mit Schafen zwischen Matayan und Zoji La (31. August 2014)

Abbildung 14: Schafherde zwischen Matayan und Zoji La (31. August 2014)

Abbildung 15: Ziegenherde zwischen Pandras und Drass-Stadt, vom Osten aus photographiert (31. August 2014)

Abbildung 16: Wiesen und Berge nördlich von Matayan (18. August 2014)

Abbildung 17: Farbe der Berge zwischen Pandras und Drass-Stadt (18. August 2014)

1.2.3 Pandras

Als nächsten Ort nach Matayan erwähnt Izzet Ullah (S. 105) Panderras (~ Pandras ~ (Vigne, Karte:) Paien-i-Duras ~ (Karte von Abbildung 1:) Pindrās) , der auf der linken Seite des Drass-Flusses gelegen ist. Daneben beschreibt  Izzet Ullah nur eine bestimmte Krähenart, die er neben Wildhunden in Pandras vorfand. Da Pandras für alle Reisenden kein Haltepunkt für Übernachtungen war, wird der Ort in Reiseberichten selten erwähnt. Für De Filippi (S. 69) schien Pandras ein unbewohnter Ort zu sein, in dem nur ein junger Yak-Bulle auf  den leeren Wegen zwischen den Häusern herumlief. Tatsächlich befindet sich aber inmitten des sehr wohl bewohnten Ortes die Ruine einer alten Festung, was als Hinweis darauf zu werten ist, dass Pandras einstmals als befestigtes westliches Eingangstor von Drass fungierte. Obwohl die Ruine der Burg unübersehbar ist, habe ich in der Literatur bisher keinen Hinweis auf diese Festung gefunden.

Abbildung 18: Pandras, vom Osten aus photographiert (25. Augsut 2014)

Abbildung 19: Pandras, von Süden aus photographiert. In der Bildmitte ist die Burgruine gut sichtbar (18. August 2014)

Abbildung 20: Die Burgruine von Pandras (25. August 2014)

Abbildung 21: Burgruine von Pandras, von Nord-Westen aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 21a: Erntearbeiten in Pandras (25. August 2014)

Abbildung 21b: Das Einbringen der Ernte in Pandras (25. August 2014)

Nach dem Census of India 2001 umfasst das Dorf Pandras die Hamlets (Habitations) Azoora und Pandras. Die Einwohnerzahl betrug 2001 bei 81 Haushalten 534 Personen. Nach dem Gazeeter of Kashmir and Ladakh (S. 302) befanden sich 1890 in Pandras nur 11 Häuser.

1.2.4 Das Tal von Drass-Stadt

Als dritten Ort auf seiner Reise durch Tibet beschreibt Izzet Ullah (S. 105) den Ort Diriras (heute Drass-Stadt) wie folgt: „Diriras, east four cos is the name of a small Purgunnah ; the villages are as close to each other, as if they were the divisions of a city, and this Purgunnah itself may be considered as one town. The Governor is entitled, the Kehrpun (~ mkhar-dpon), and is sent from Tibet.“ In der Karte von Vigne ist der Ort als Duras verzeichnet. Moorcroft (Vol. II, S. 38f), der Drass acht Jahre nach Izzet Ullah bereiste, beschreibt den Ort als kleines Tal mit einer Länge von 2 Meilen und einer Breite von etwas mehr als einer Meile. Nach Vigne (S. 393), der Drass zwischen 1835 und 1838 erreichte, war Drass „an open space in the mountains, containing two or three very small villages, and a Sikh killah, or castle white and quadrangular, built in the angle, at the junction of a small stream with the Duras river, and garrisoned by a few soldiers.“ Nach Thomson (S. 267) bestand Drass-Stadt aus mehreren Dörfern, die über eine Ebene in der Nähe des Dogra-Fort verteilt waren. De Filippi ((1), S. 69) beschrieb dieses Tal von Drass-Stadt als „great basin of Dras… The plain is scattered with groups of houses, and other villages perch like the rocche of the Roman campagna upon the margins of the alluvial banks.“

1.2.4.1 Murad Bagh

Folgt man heute von Pandras kommend auf der modernen Strasse der Route der vorstehend zitierten Reisenden, so öffnet sich kurz vor Drass nach einer Engestelle (siehe Abbildung 17) plötzlich ein Tal und gibt den Blick auf Murad Bagh (siehe Karte von Abbildung 1) frei. 

  Abbildung 22: Murad Bagh, von Süd-Westen aus photographiert  (25. August 2014)

Abbildung 23: Murad Bagh (25. August 2014)

Abbildung 24: Altes Haus in Murad Bagh (25. August 2014)

Abbildung 25: Kinder beim Wasserholen in Murad Bagh (25. August 2014)

Murad Bagh gehört als Dorf zum Pancayat Holiyal und umfasst die Hamlets (Habitations) Bato Pa, Doks, Murad Bagh und Thang Juk. Nach dem Census of India 2001 bestand das Dorf Murad Bagh aus 168 Haushalten mit 1012 Bewohnern. Murad Bagh liegt am Ausgang des Mushko (~ Muski)-Tales, von dem man früher über den Pass Marpo La im Norden insbesondere die Deosai-Hochebene sowie Skardu und Astor  erreichen konnte. Von Norden aus fielen über diesen Pass kommend bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wiederholt Banditen nach Drass ein, welche die Bevölkerung ausraubten und teilweise als Sklaven verschleppten und verkauften.

Das zweite Dorf des Pancayat Holiyal ist das gleichnamige Holiyal (~ Hulyal) mit den Hamlets (Habitations) Barloo, Holiyal, Pandoo, Takoo, Tanmir and Thoko. Nach dem Census of India 2001 umfasste dieses Dorf 75 Haushalte mit 467 Einwohnern. 

1.2.4.2 Drass-Stadt

Östlich von Murad Bagh liegt die heutige Stadt Drass, auch Rambirpur genannt, welche als administrative Einheit die Ortsteile (Habitations) Aliyar, Drass Town, Drass Town 2nd Colony, Frave, Khandiyal und Rambir Pora umfasst. Nach dem Census of India 2001 befanden sich in Drass-Stadt 224 Haushalte mit 1201 Einwohnern. Drass-Stadt entwickelt sich zu einem Verwaltungs- und Handelszentrum für den gesamten Block Drass. Der Bazar von Drass-Stadt hat ein orientalisches Gepräge. Oberhalb von Drass-Stadt findet sich ein grosser Pferde-Polo Platz.

Allerdings sind die in Drass vorzufindenden Übernachtungsmöglichkeiten für einen westlichen Reisenden völlig ungeeignet. Auch sind die hygienischen Bedingungen in den vorzufindenden Restaurants nicht ausreichend. Dies gilt allerdings auch für viele Orte im östlichen Purig, wie z. B. für Sankoo, Mulbeck und Wakha. Die Versuche der Hotelkette Lalit, die in Shrinagar das 5 Sterne Hotel “Grand Palace Shrinagar” betreibt, in Drass in Verbindung mit dem in Drass beliebten Pferde-Polo ein erstklassiges Hotel in Drass-Stadt zu errichten, sind offenbar an bürokratischen Hürden gescheitert. 

Abbildung 26: Drass-Stadt, von Süd-Westen aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 27: Blick auf Drass-Stadt, von Nord-Westen aus photographiert. In der Bildmitte (oben) ist die neue Strasse zum Pass Umba La, der nach Sankoo im Suru-Tal führt, gut zu erkennen (25. August 2014)

Abbildung 28: Blick auf die Dächer von Drass-Stadt (25. August 2014)

Abbildung 29: Der Bazar von Drass-Stadt (25. September 2013)

Abbildung 30: Geschäft im Bazar von Drass-Stadt. Photo: Siegfried Rademacher (25.August 2014)

Abbildung 31: Geschäft im Bazar von Drass-Stadt. Photo: Siegfried Rademacher (25.August 2014)

Abbildung 32: Der Bazar von Drass-Stadt als Begegnungsort (9. Oktober 2013)

1.2.4.3 Goshan

Der auch heute noch benutzte Pferde-Polo Platz von Drass-Stadt befindet sich nördlich oberhalb der Stadt neben einer unbepflanzten Erhebung, die vermutlich vor der Eroberung von Drass und Purig durch die Dogra im Jahre 1834 Standort einer alten Festung war. Hinter dieser Erhebung erstreckt sich nach Norden eine kleine Hochebene, in der das Dorf Goshan gelegen ist, welches auch den Status eines Pancayat hat. Goshan umfasst die Hamlets (Habitations) Doks, Goma, Goshan Gatoo, Gringo, Hitoo, Jololo, Lamar, Majapora, Niatgam and Shagaran. Nach dem Census of India 2001 umfasste Goshan 145 Haushalte mit 1187 Einwohnern. Nach dem Gazeeter of Kashmir and Ladakh (S. 302) befanden sich 1890 in Goshan 40 Häuser.

Abbildung 33: Polo-Platz oberhalb von Drass-Stadt (25. August 2014)

Abbildung 34: Hügel östlich des Polo-Platzes von Drass-Stadt. Dieser Hügel war vermutlich einstmals Standort einer Burg (25. August 2014)

Abbildung 35: Von Westen nach Osten verlaufende kleine Hochebene von Goshan nördlich von Drass-Stadt. Photo: Siegfried Rademacher (25.August 2014) 

Abbildung 36: Das Dorf Goshan. Photo: Siegfried Rademacher (25.August 2014)

1.2.4.4 Die Dogra Festung von Drass-Stadt

Nach der Eroberung von Drass, Purig und Ladakh in den Jahren1834/35 durch den Dogra Feldherren Zorawar Singh, der im Auftrag des Jammu-Herrschers und späteren Mahārāja von Jammu und Kaschmir Gulab Singh agierte, errichten die Dogra im Bereich der heutigen Stadt Drass in der Nähe des Drass-Flusses eine Festung. Vergleichbare militärische Einrichtungen der Dogra wurden in Kargil und Leh sowie nach 1840 auch in Skardu und Shigar erbaut. In der Karte von Vigne ist diese Festung als Sikh Killah verzeichnet. In Hinblick auf seinen Besuch in Drass beschrieb Vigne (S. 393) auch die Dogra-Festung. Thomson (S. 240) hat im Dezember 1847 eine Nacht in einem mit Kamin ausgestatten Raum dieser Festung verbracht. Als Ujfalvy 1881 über Drass zum Zoji La reiste, war die Festung noch von einer Garnison bewohnt. Nach dem Gazeeter of Kashmir and Ladakh (S. 304) bestand die Besatzung 1890 aus einem Offizier (Jemadar) und 10 Soldaten (Sepoys).1909 besuchte De Filippi ((1), S. 69) diese inzwischen verlassene Festung und lieferte folgende Beschreibung: „In the very midst of the valley, conspicuous from all sides, stands an isolated square fort, with towers at the corners. This is a relic of the Sikh conquest. Only the outer walls still stand, though partly dilapidated, build out of round pebbles embedded in mud.“ Ein recht gutes Photo dieser Festung wurde in De Filippi (2), S. 31, veröffentlicht. Heute sind keine Überreste dieser Festung mehr aufzufinden. Das gleiche Schicksal ereilte die Dogra-Festungen in Kargil und Skardu. Sie wurden restlos zerstört. Offenbar wollte man die Erinnerung an die ungeliebte Dogra-Herrschaft vollständig auslöschen.

Abbildung 37: Die heute restlos zerstörte Dogra-Festung von Drass nach De Fillippi (2), S. 31

1.2.4.5 Passverbindungen nach Osten

Als weitere Stationen auf seinem Reiseweg im Jahr 1812 erwähnt Izzet Ullah (S. 106) die Orte Kerchho, Tirispun und Pashkam. Nach Izzet Ullah erreicht man Kercho über zwei hohe Berge, die in nord-östlicher Richtung liegen. Kerchho ist zweifellos identisch mit Kartse (~ dKar-rtse ~ dKar-brtse ~ Karchay ~ Kharche) und Tirispun ist als Trespon (~Trizpon ~ Trespone~ Tringspon ~ Tringspone ~Khri-dpon) zu identifizieren. Beide Orte sind dem unteren, nördlichen Suru-Tal zuzuordnen. Pashkam ist natürlich mit Paskyum (~ Pashkyum ~ Pashkum ~Pashkun ~ Push Kum ~ Pas-skyum ~ Pa-skyum) gleichzusetzen. Izzet Ullah setzte somit seine Reise nicht über das östliche Tal von Drass bis zum Zusammenfluss des Drass-Flusses mit dem Shingo-Fluss fort, sondern wählte die Route über den Pass Umba La, die in das Gebiet der ehemaligen Herrschaft dKar-rtse im Suru-Tal führt. Ein Endpunkt dieser Route ist auf der östlichen Seite Sankoo (~ Sanku ~ Sankho ~ Sanko ~ Sankhoo ~ Sānkho). Eine alternative Route führt über den Umba La bis zum nördlich von Sankoo gelegenen Lankarchay (~ Lankarche ~Langkarchu ~ Lang-gar-rtse ~ Lang mkhar rtse). Letztendlich ist noch anzumerken, dass man vom Umba La aus auf einer separaten Route direkt Kargee im Gebiet der ehemaligen Herrschaft Suru (oberes, südliches Suru-Tal) erreicht.  

Moorcroft, der auf seinen Reisen von Izzet Ullah  begleitet wurde, wählte auf der ersten Reise von Leh nach Drass die Route über Sankoo. Während seiner zweiten Reise benutzte er den Weg, der von Lankarchay über Lankarchay Brogs (~ Brok) nach Drass führt. Wie Izzet Ullah hat Moorcroft die von allen nachfolgenden Reisenden zumeist benutzte Route durch das östliche Drass-Tal über Kharbu nie bereist. Auf der westlichen Seite in Drass endet der Weg über den Umba La in Lamochan, welches heute mit den Hamlets (Habitations) Khaboo, Niral, Suktiyal und Yalboo des Dorfes Yulboo (~ Yalboo) zu dem östlich an Drass-Stadt angrenzenden Pancayat Bhimbet gehört. Neben den von Moorcroft benutzten Routen führte noch eine weiterer Weg über den Pass Lasar La zwischen Pharona und Dandal vom Suru-Tal aus nach Drass. Dandal gehört nach der heutigen administrative Einteilung als Hamlet (Habitation) zum Dorf (Village) Yasghun (~ Gasgund), welches mit Tāsgām (~ Thasgam) dem Pancayat Kaksar zugeordnet ist.

Die Route über den Umba La war für das ehemalige Fürstentum Kartse von grosser Bedeutung, konnte man dadurch den Weg über Kargil und durch die von den Fürstentümer Sod und Pashkyum teilweise beherrschte Region umgehen. Zudem existierte von Kartse aus über den Rusi La, den Sapi La und durch das Phukar Tal eine separate Verbindung nach Mulbekh und weiter nach Leh.

Abbildung 38: Pässe zwischen Drass und dem Suru-Tal. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-07. 1:250.000. Kargil

Die Verbindung zwischen Sankoo im Suru-Tal und Lamochan in Drass ist inzwischen  zu einer mit dem Auto befahrbaren Strasse ausgebaut worden. Das Gleiche gilt für die Verbindung zwischen Lankarchay und Lankarchay Brogs. Ob von hier aus eine Fortsetzung zum Umba La geplant wurde, ist mir nicht bekannt. Die Route zwischen Mulbekh und den Dörfern westlich des Sapi La ist ebenfalls mit dem Auto befahrbar. Zur Anbindung an das südliche Suru-Tal fehlt nur noch ein Teilstück über den Pass Rusi La. Die Route zwischen Pharona und Dandal wurde bisher nicht für den Autoverkehr ausgebaut.

Abbildung 39: Lamochan, Ausgangspunkt der Route von Drass ins Suru-Tal über den Pass Umba La, vom Osten aus photographiert (31. August 2014) 

Abbildung 40: Die neuerbaute Strasse von Lamochan zum Pass Umba La, vom Polo-Platz in Drass aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 41: Strasse vom Pass Umba La nach Drass, vom Pass aus photographiert (28. September 2013)

Abbildung 42: Auf dem Pass Umba La am 28. September 2013

Abbildung 43: Blick vom Pass Umba La auf das im Süden gelegene Nun-Kun Massiv (28. September 2013)

Abbildung 44: Dandal. Ausgangspunkt der Route nach Pharona im Suru-Tal, vom Nord-Osten aus photographiert  (25. August 2014)

Abbildung 45: Seitental bei Dandal. Beginn der Route über den Pass Lasar La nach Pharona im Suru-Tal (25. August 2014)

1.3 Der östliche Teil von Drass

Der östliche Teil von Drass erstreckt sich von Drass-Stadt bis Dandal (siehe Abbildung 44) und dann in nord-östlicher Richtung bis zur Mündung des Drass-Flusses in den Shingo-Fluss. Die letzten nördlichen Orte von Drass sind das westlich dieses Zusammenflusses auf der linken Flussseite gelegene Kaksar (~ Kakshai ~ Kakshar) und Kharbu.

Abbildung 45a: Der östliche und nord-östliche Teil von Drass. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-07. 1:250.000. Kargil

1.3.1 Die nördliche Grenzregion von Drass

Das Gebiet nördlich des Shingo Flusses gehörte traditionell zu Kartaksho (Kharmang). Das kurze östliche Wegstück zwischen der Mündung des Drass-Flusses in den Shingo-Fluss und dem Zusammenfluss des Shingo-Flusses mit dem Suru-Fluss bei Kharal (~ Karal) verlief auf der rechten Flussseite und war ein Teilstück der alten Handelsroute zwischen Kaschmir und Leh. Die zugehörige Region wurde wie Drass zu Beginn des 17. Jahrhunderts dem Königreich Purig zugeschlagen. Die nördlich von diesem Teilstück auf der linken Seite des Flusses gelegenen Dörfer Badgam, Karkitchoo und Hardass (~ Hardus) werden auch heute noch als „Balti-Villages“ bezeichnet. Der einzige grössere Ort dieses Wegstückes auf der rechten Seite des Flusses ist Chunagund (~ Chanigund ~ Chanagúnd ~ Cenagan), dem heute östlich eine grosse Militärbasis der indischen Armee vorgelagert ist.

Abbildung 46: Der östliche Teil von Drass und seine historischen ( vor 1834) nördlichen und östlichen Nachbarregionen. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-07. 1:250.000. Kargil

Abbildung 47: Der alte Handelsweg nördlich von Drass zwischen Kaksar und Karal

Der erste Europäer, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass er das oben beschriebene Teilstück der Handelsroute zwischen Kaschmir und Leh von Osten kommend bereist hat, war George Trebeck (Moorcroft, Vol. II, S. 24 (Anmerkung)). Der nächste Reisende war Vigne, welcher zwischen 1835 und 1838 von dem nord-östlichen Kartaksho aus zunächst die Mündung des Suru in den Shingo-Fluss erreichte. Die Weitereise beschrieb Vigne wie folgt (S. 392f): „We crossed the Duras river (richtiger: Shingo river) on a raft, and then found ourselves on the Sikh territory, on an excellent riding-path, which had been made by Gulab Singh, with the double intention of affording facilities for the passage of goods from Kashmir to Ladakh, and the furtherence of his own design upon these countries… The road was now comparatively easy.“

Diese Einschätzung des guten Zustandes dieser Route wird auch durch Cunningham (S. 149) bestätigt: „I have travelled this road myself, and I can vouch for its being one of the most easy routes to be found throughout the Alpine Punjab. … The greater portion of this road which lies in Ladák was made by Zorawar Singh after the conquest of the country in 1834.“

Thomas Thomson bereiste diese Strecke im Dezember 1847 und im April 1848. Seine Darstellung enthält keinen Hinweis, dass diese Route besondere Schwierigkeiten bereitete. Allerdings erwähnt er, dass der Weg nach Kharmang zwischen dem Indus und Kharal, der nicht zu der Route zwischen Kaschmir und Leh gehört, teilweise sehr schlecht („extremely bad“) war. Dieser Hinweis mag der Grund dafür sein, dass die Brüder Schlagintweit (S. 68) 1863 zum Weg zwischen Kargil und Kharbu wohl irrtümlicher Weise anmerkten: „Road bad; the worst along the whole route from Leh to Srinagar.“

Heute verbindet eine gut befahrbare, asphaltierte zweispurige Strasse die Orte Drass und Kargil.

Abbildung 48: Der Zusammenfluss des Shingo-Flusses (links) mit dem Suru-Fluss (rechts) nördlich von Kargil. Auf der linke Flussseite (Bildmitte) verläuft die alte Handelsstrasse über Marol  nach Kharmang (25. August 20014)

Abbildung 50: Der Ort Kharal auf der linken Seite des Shingo-Flusses an dessen Zusammenfluss mit dem Suru-Fluss (25. August 2014)

Abbildung 51: Das Balti-Dorf Hardass auf der linken Seite des Shingo-Flusses, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 52: Das Balti-Dorf Karkitchoo auf der linken Seite des Shingo-Flusses, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 53: Chunagund auf der rechten Seite des Shingo-Flusses, vom Osten aus photographiert (31. August 2014)

Abbildung 54: Der Zusammenfluss des Shingo-Flusses (Bildmitte) mit dem Drass-Fluss (von links kommend), vom Osten aus photographiert  (25. August 2014)

1.3.2 Kharbu, das nordöstliche, bewachte Eingangstor von Drass

Reist man von der Mündung des Drass-Flusses in den Shingo-Fluss auf dem Weg nach Drass-Stadt nach Süd-Westen, so erreicht man auf der rechten Seite des Drass-Flusses als ersten Ort Kharbu (~ Kharboo). Kharbu war eine beliebte Zwischenstation für Reisende, die aus Leh oder Kharmang kamen und nach Kaschmir reisten, da sich dort tief im Tal in der Nähe des Drass-Flusses ein von den Dogra erbauter Bungalow befand, der Beamten der Regierung von Jammu und Kaschmir sowie ausländischen Reisenden als Unterkunft zur Verfügung stand. Soweit ich feststellen kann, war Francke (S. 105) der einzige Reisende, der anmerkte, dass sich oberhalb des Talgrundes die Ruine einer Festung befand. Zudem repräsentieren auch die heute im Tal befindlichen Gebäude nicht das eigentliche alte Dorf Kharbu. Dieses liegt hoch über dem Fluss und wurde von den Durchreisenden – mit der Ausnahme von Thomas Thomson (S. 238) - in der Regel nicht wahrgenommen. Heute führt eine unbefestigte, mit dem Auto befahrbare Strasse zu den beiden durch eine Schlucht getrennten Teilen (Hamlets) des oberen Dorfes Kharbu.

   

Abbildung 55: Der tief im Tal gelegene Bungalow von Kharbu nach De Filippi (1909)

 

Abbildung 56: Am Drass-Fluss gelegener unterer Ortsteil der heutigen Kharbu, vom Nord-Osten aus photographiert  (25. August 2014)

Abbildung 57: Blick auf den oberen Teil des alten Dorfes Kharbu von Nord-Osten aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 58: Nördlicher Teil des oberen Dorfes von Kharbu (25. August 2014)

Abbildung 59: Südlicher Teile des oberen Dorfes von Kharbu (25. August 2014)

Abbildung 60: Der Felsen mit der Festung von Kharbu und der untere Ortsteil des heutigen Kharbu (25. August 2014)

Abbildung 61: Überreste der Festung von Kharbu, vom Talboden aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 62: Ruine der Festung von Kharbu, vom Oberborf aus photographiert. Photo: Siegfried Rademacher (25.8.2014)

Abbildung 63: Ein Teil der Ruine der Festung von Kharbu, vom Oberborf aus photographiert (25.8.2014)

Im südlich gelegenen, Teil des oberen Dorf von Kharbu teilte mir der Dorflehrer mit, dass die Bewohner des Ortes der islamischen Nūrbakhshīya-Sekte angehören. Das Dorf Kharbu gehört zum Panchayat Kharbu, welcher auch den südlich auf der rechten Flusseite gelegenen Ort Shimsha (~ Shamshāh) umfasst. Das Dorf Kharbu besteht aus den Hamlets (Habitations) Azail, Bado Grong, Koti Bagh and Nasiryal. Nach dem Census of India 2001 lebten in Kharbu 821 Personen in 102 Haushalten. Nach dem Gazetteer of Kashmir and Ladák (S. 302) befanden sich im Jahre 1890 in Kharbu nur 15 Häuser.

Wie überall in Purig und Drass wurden wir von den Dorfbewohnern von Kharbu mit grosser Freundlichkeit und Unbefangenheit begrüsst. Dabei dürfte insbesondere das alte, hochgelegene Dorf auch heute noch ein Ort sein, der von Fremden sehr selten besucht wird.

      

Abbildung 64: Der sehr hilfsbereite Dorfschullehrer von Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

 

Abbildung 65: Älterer Herr aus Kharbu im Gespräch mit drei kleinen Jungen. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

 

Abbildung 66: Älterer Herr aus Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

Abbildung 67: Christa Schuh (rechts) im Gespräch mit einer Einwohnerin von Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

      

Abbildung 68: Junge und Mädchen aus Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

 

Abbildung 69: Kleines Mädchen aus Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

 

Abbildung 70: Kleiner Junge aus Kharbu. Photo: Siegfried Rademacher (25. August 2014)

Das südlich des Dorfes Kharbu gelegene Shimsha besteht aus den Hamlets (Habitations) Alvi Moda, Khiber and Shimsha Bado Grong. Nach dem Census of India 2001 lebten in Shimsha 556 Personen in 80 Haushalten.

Abbildung 71: Das Dorf Shimsha, vom Norden aus photographiert (31. August 2014)

Abbildung 72: Das Dorf Shimsha, vom Norden aus photographiert (31. August 2014)

1.3.3 Kaksar

Südlich-westlich von Shimsha überquert man den Drass-Fluss und erreicht den Panchayat Kaksar. Von hier aus kann man die Reise am linken Ufer des Drass Flusses bis Drass-Stadt fortsetzen. Der Panchayat Kaksar umfasst die Dörfer Kaksar (~ Kakshai ~ Kakshar), Thasgam (~ Tāsgām) und Gasgund (~ Jusgund ~ Yasghun ~ Jasgound ~ Yashghun).

Das Dorf Kaksar liegt westlich der Mündung des Drass-Flusses in den Shingo-Fluss und ist der nördlichste Ort von Drass. Der Ort wurde von mir nicht besucht. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl 563 Personen bei 82 Haushalten.

 Die beiden Orte des Panacayat Kaksar, die südlich von Shimsha liegen, befinden sich teilweise auf beiden Seiten des Flusses. Die südliche Grenze des Panchayat ist Dandal (siehe Abbildung 44).

Das Dorf Thasgam besteht aus den Hamlets (Habitations) Khibar, Sumat and Thasgam. Thasgam wurde von Reisenden, die von Westen kamen, nicht selten als Zwischenstopp gewählt. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl von Thasgam 329 Personen bei 45 Haushalten.

Das südlich von Thasgam gelegene Gasgund besteht aus den Hamlets (Habitations) Dandal, Dandal Than and Gasgund. Dandal wird wegen der geringen Sonneneinstrahlung im Winter als einer der kältesten Orte von Drass angesehen. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl von Gandgund 334 Personen bei 36 Haushalten.

Abbildung 73: Das am rechten Ufer des Drass-Flusses gelegene Khibar (31. August 2014)

Abbildung 74: Thasgam, vom Osten aus photographiert (31. August 2014)

Abbildung 75: Gasgund, am rechten Ufer des Drass-Flusses gelegen,  vom Nord-Osten aus photographiert (31.August 2014)

Abbildung 76: Dandal (siehe auch Abbildung 44), vom Nord-Osten aus photographiert  (25. August 2014)

1.3.4 Chowkiyal und Bhimbat

Hinter Dandal verläuft die Strasse nach Drass-Stadt in westlicher Richtung durch die Pancayats Chowkiyal (~Chokial ~ Chaukiyal) und Bhimbat (~ Bhimbet ~ Bimbat). Dieser Teil von Drass gehört zu den landschaftlich reizvollsten Teilen des Landes.

Der Pancayat Chowkiyal umfasst die Dörfer Chowkiyal und Throngos (~Thrangos ~ Tungus). Hinter Dandal öffnet sich das Tal und gibt den Blick auf Chowkiyal und Khunda frei. Das Dorf Chowkiyal besteht aus den Hamlets (Habitations) Chowkiyal, Doks, Donchik, Khunda (~ Kunda), Toko and Watakool. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl des Dorfes Chowkiyal 707 Personen bei 79 Haushalten.

Das Dorf Throngos besteht aus den Hamlets (Habitations) Chaspang, Hukurat and Throngos. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl des Dorfes Throngos 337 Personen bei 42 Haushalten.

Abbildung 77: Khunda (links) und Chowkiyal (rechts), vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

Abbildung 78: Khunda, vom Osten aus photographiert (25. August 2012)

Abbildung 79: Chowkiyal, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

Westlich von Chowkiyal durchquert man den Pancayat Bhimbat mit den Dörfern Bhimbat, Gindiyal (~ Gindial) und Yulboo (~ Yalboo ~ Yibu).

Das Dorf Bhimat besteht aus den Hamlets (Habitations) Bangar, Bhimbat, Bitoo, Jindiyal, Kashal, Kurutiyal, Ningore, Senyal, Shakthang and Zargar. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl dieses Konglomerats von zahlreichen Weilern (Hamlets) 1.105 Personen bei 148 Haushalten. Eine gewisse Bekanntheit hat Bhimbat durch eine von Indien errichtete Gedenkstätte (Drass War Memorial) erlangt, die für den militärischen Sieg Indiens im Kargil Krieges des Jahres 1999 und zum Gedenken an die toten Soldaten dieses Krieges errichtet worden ist. Diese im Eingangsbereich wenig gepflegte Gedenkstätte stimmt nachdenklich, wenn man die gruseligen, begleitenden Sprüche von Tafeln auf der vorbeiführenden Landtrasse liest, auf denen man unter Anderem folgendes lesen kann: „Tree of liberty grows only when watered with the blood of martyrs.“

Abbildung 80: Bhimbat, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

   

Abbildung 81: Bhimbat, vom Osten aus photographiert (25. August 2014)

 

Abbildung 82: Strassenschild in Bhimbat mit agressiver Propaganda für die politischen Ansprüche Indiens (25. August 2014)

Abbiildung 83: Militärische Gedenkstätte in Bhimbat (25. August 2014)

Abbiildung 84: Militärische Gedenkstätte in Bhimbat (25. August 2014)

Das Dorf Gindiyal besteht aus den Hamlets (Habitations) Gindiyal, Masjid Gam, Nawa Pora. Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl des Dorfes Gindiyal 473 Personen bei 57 Haushalten.

Das Dorf Yulboo besteht aus den Hamlets (Habitations) Khaboo, Lamochan (siehe Abbildung 39), Niral, Skutiyal (~ Suktiyāl) and Yulboo (~Yibu). Nach dem Census of India 2001 betrug die Einwohnerzahl des Dorfes Yulboo 502 Personen bei 67 Haushalten.

1.4 Übersichtstafel der Panchayats, Dörfer (“villages”), Hamlets (Habitations) und Einwohnerzahlen von Drass

Ein Defizit für die geographische Erforschung von Drass besteht in dem völlig ungenügenden zur Verfügung stehenden Kartenmaterial. Die einzige mir zugängliche, detaillierte Karte ist “India and Pakistan (Jammu and Kashmir) Ni-43-07. 1:250.000. Kargil”, welche 1954 vom US Army Map Service auf der Grundlage älterer Karten des Survey of India kompiliert wurde. Um eine vollständige Liste der Dörfer (Villages) von Drass und Angaben zur Einwohnerzahl zu erhalten, habe ich die vom Census of India 2001 im Internet publizierten Angaben benutzt. Die Namen der zugehörigen Hamlets (Habitations) und die Einteilung nach Panchayats und Dörfern wurde aus der vom indischen Innenministerium veröffentlichten Internetseite indiawater.gov.in entnommen. Das Ergebnis ist hoffentlich - zusammen mit der Berücksichtigung des oben aufgeführten Kartenmaterials - eine einstweilen hinreichende Grundlage zur Identifizierung von Ortsnamen für die historische Forschung.

 Panchayat Dorf (Village) Habitations (Hamlets)Einwohnerzahl  Haushalte
Bhimbet 1.Bhimbet ~ Bimbat Bangar, Bhimbat, Bitoo, Jindiyal, Ka-shal, Kurutiyal, Ningore, Senyal, Shakthang und Zargar 1105148
Bhimbet 2. Gindiyal ~ Gindial Gindiyal, Masjid Gam, Nawa Pora 473 57
Bhimbet 3. Yulboo ~Yalboo ~ Yibu Khaboo, Lamochan, Niral,Suktiyal und Yalboo 502 67
Chowkiyal 4. Chowkiyal ~Chokial Chowkiyal, Doks, Donchik, Khunda, Toko und Watakool 707 79
Chowkiyal  5. Throngos ~Thrangos ~ Tungus Chaspang, Hukurat und Throngos 337 42
Drass 6. Drass ~ Rambirpur Aliyar, Drass Town, Drass Town 2nd Colony, Frave, Khandiyal, Rambir Pora, Taiser und Tisboo 1201224
Goshan 7. Goshan Doks, Goma, Goshan Gatoo, Gringo, Hitoo, Jololo, Lamar, Majapora, Niatgam und Shagaran 1187145
Holiyal 8. Holiyal ~ Hulyal Barloo, Holiyal, Pandoo, Takoo, Tanmir und Thoko 467 75
Holiyal 9. Murad Bagh Bato Pa, Doks, Murad Bagh und Thang Juk 1012168
Kaksar10. Thasgam Khibar, Sumat und Thasgam 329 45 
Kaksar11. Gasgund ~ Jusgund Dandal, Dandal Than und Gasgund 334 36
Kaksar12. Kaksar Kaksar 563 82
Kharboo13. Kharboo ~ Kharbu Azail, Bado Grong, Koti Bagh und Nasiryal 821102 
Kharboo14. Shimsha Alvi Moda, Khiber und Shimsha Bado Grong 556  80
Matayan15. Matayan Matayan 449 85
Mushkoo 16. Mushkoo ~ Mushku Dilbaroo und Garachoo 343 50
Pandrass17. Pandrass ~ Pandras  Azoora, Pandrass und Shaitoko  534 81
Trongjon18. Trankuchan ~Tronjen Darloo, Faloo, Hajipora, Nagoo, Tronjun und Ulbearas 742 84 
 Gesamtzahl   11662 1650

2 Zur Geschichte von Drass

Abgesehen von wenigen historischen Überresten wurden bisher aus Drass selbst stammende schriftliche Quellen zur Geschichte dieses Landes kaum gesammelt oder veröffentlicht. Da die in Drass gesprochene Sprache, das Shina, offenbar niemals als Schriftsprache verwendet wurde, sind schriftliche Quellen zur Geschichte dieses Landes entweder im klassischen Tibetisch, in Persisch, Urdu oder Sanskrit geschrieben.

Als in Sanskrit geschriebene ältere Quelle existierte einstmals eine buddhistische Inschrift auf dem Rand einer Maitreya Statue östlich von Drass-Stadt.

In tibetischen Quellen wird Drass als He-´bab (~ Hem-bab) erwähnt, doch sind die Ereignisse, zu denen diese Bezeichnung bisher auftaucht sind, nicht älter als das 17. Jahrhundert und die Quellen selbst sind wenigstens einhundert Jahre später entstanden.

Als in Sanskrit oder in Persisch verfasste Quellen sind hier insbesondere historiographische Quellen zur Geschichte Kaschmirs aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert zu erwähnen. In diesen taucht aber der Name Drass oder ein eindeutig als Drass zu identifizierendes Äquivalent nicht auf. Insofern in diesen Quellen von der Region gesprochen wird, zu der Drass gehörte, wird ein Begriff verwendet, den wir als „Tibet“ oder „Klein-Tibet“ übersetzen. Zu Klein-Tibet gehörten insbesondere die Region des heutigen Baltistan und Purig, aber keinesfalls Ladakh, welches als Gross-Tibet bezeichnet wurde (siehe auch den Artikel Baltistan: 4.3. Periode vom 16. Jahrhundert bis 1842). Wenn Chroniken aus Kaschmir aus der Zeit des 15. bis 17. Jahrhundert über Ereignisse berichten, die Tibet betreffen, ist sorgfältig abzuwägen, welche Region gemeint sein könnte.

Seit dem 18. Jahrhundert gehörte Drass insbesondere zum Königreich Purig, welches ab ca. 1760 von Ladakh aus regiert wurde. Wird in tibetisch-sprachigen historiographischen Werken oder Urkunden aus jener Zeit Drass erwähnt, taucht regelmässig der Name He-´bab auf.

Nach der Eroberung von Purig (einschliesslich Drass) und Ladakh durch die Dogra im Jahre 1834 wurde als Amtssprache am Hof der Mahārāja von Jammu und Kaschmir im 19. Jahrhundert zunächst Persisch verwendet. Zur Verwendung des Persischen als Amtssprache von Kaschmir gibt es eine vorzügliche Untersuchung von Siegfried Weber, in der allerdings Drass betreffende Schriftstücke nicht enthalten sind. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Urdu als Amtssprache verwendet. Entsprechende in Persich oder Urdu verfasste Dokumente dürften sich aber in den Archiven in Kaschmir und Kargil finden lassen. Eine insbesondere diplomatisch ausgerichtete Forschung, die sich mit solchen Quellen beschäftigt, existiert aber bis heute nicht.

2.1 Frühgeschichte

Siehe auch den Artikel Altertümer von Purig

2.1.1 Felszeichnungen (Petroglyphe)

Da – von einer Ausnahme abgesehen - schriftliche Quellen zu Drass aus der Zeit vor dem 15. Jahrhundert nicht vorliegen und wissenschaftliche archäologische Ausgrabungen in Drass bisher nicht durchgeführt wurden, ist man bei der Suche nach Überresten zur frühen Geschichte von Drass auf Oberflächenfunde angewiesen.

Im Jahre 1914 veröffentlichte A. H. Francke (S. 104) zwei Photos von Felszeichnungen (Petroglyphe, Einritzungen in Felsen) mit Darstellungen von Menschen und Tieren auf einem Felsen, den er auf seiner Reise von Kargil nach Drass westlich von Chunagund (siehe oben Abbildung 53) gefunden hatte. Der von Francke entdeckte Felsen ist auch heute noch zwischen Chunagund und der Mündung des Drass Flusses in den Shingo-Fluss (siehe oben Abbildung 54) am rechten Ufer des Shingo-Flusses direkt neben der Strasse von Drass nach Kargil zu besichtigen. Allerdings ist er heute teilweise schwer beschädigt und durch moderne Graffiti verunstaltet. Franckes Photos zeigen mit der West- und der Süd-Westseite des Felsens nur einen Teil der Petroglyphe, die auf diesem Felsen zu finden sind. Nicht veröffentlicht bzw. photographiert wurden die Zeichnungen der Ostseite und der Oberseite des Felsens.

Abbildung 85: Der von Francke entdeckte Felsen mit Petroglyphen westlich von Chunagund (25. August 2014)

Abbildung 86: Franckes Veröffentlichung der West- und der Süd-Westseite des Felsens

Abbildung 87: Der heutige Zustand der West- und der Süd-Westseite des Felsens (25. August 2014)

Abbildung 88: Der heutige Zustand der Westseite des Felsens (25. August 2014). Teile des Felsens wurden vermutlich mit einer weißen Straßenmarkierungsfarbe übermalt

Abbildung 89: Franckes Veröffentlichung der Süd-Westseite des Felsens

Abbildung 90: Der heutige Zustand Süd-Westseite des Felsens (25. August 2014)

Vergleichbar mit den von Francke veröffentlichten Felsbildern sind Petroglyphe, die man oberhalb der dem Suru-Tal zugeordneten Ortschaft Lankarchay Broks auf dem Weg zum Pass Umba La findet. Dieser Weg verbindet das Suru-Tal mit Drass. Die Felsengruppe mit den entsprechenden Petroglyphen wurde dankenswerter Weise für mich von Mohammed Fayaz, einem Architekten aus Kargil, erkundet und photographiert. Details diese zahlreichen Felszeichnungen werden in dem Artikel Altertümer/Purig vorgestellt. An dieser Stelle seien exemplarisch nur drei Photos von Felsen aus Lankarchay Broks veröffentlicht, auf deren Oberflächen sich zahlreiche Felsbilder befinden.

Abbildung 91: Felszeichnungen oberhalb von Lankarchay Broks (27. August 2014) Selbst an dieser abgelegenen Stelle finden sich moderne Graffiti. Photo: Mohammed Fayaz

Abbildung 92: Felszeichnungen oberhalb von Lankarchay Broks (27. August 2014). Photo: Mohammed Fayaz 

Abbildung 93: Felszeichnungen oberhalb von Lankarchay Broks (27. August 2014). Photo: Mohammed Fayaz

Vergleichbare Petroglyphe finden sich in grosser Zahl auch im heutigen Baltistan (siehe Altertümer/Baltistan) und in Ladakh. Auf die letzteren hat insbesondere A. H. Francke (siehe insbesondere Francke (2), Plates I-IV) in mehreren Veröffentlichungen aufmerksam gemacht. Weitere Petroglyphe aus Ladakh wurden von Rohit Vohra, Laurianne Bruneau, Martin Vernier und Lars Reinholt Aas veröffentlicht und wissenschaftlich untersucht. Nach Francfort (p. 150-151), bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Art und Weise von Tierdarstellungen einiger Petroglyphe in Ladakh und solcher in Zentralasien, die aus der Bronze oder Eisenzeit stammen. Diese Ansicht wird durch die Studie “Animal Style of the Steppes in Ladakh” von Bruneau und Vernier gestützt. Nach Bruneau stammen einige Felszeichnungen von Ladakh aus der Bronze Zeit. Es besteht aber wenig Zweifel, dass Petroglyphe auch nach der Bronze Zeit in Ladakh und Purig angefertigt bzw. bestehende Felsbilder ergänzt wurden.

2.1.2 Buddhistische Altertümer aus Drass

Die erste Beschreibung der bekannten buddhistischen Stein-Skulpturen (Stelen) von Drass stammt von Vigne (S. 393), der diese buddhistischen Altertümer vermutlich im Jahre 1838 auf seiner Reise von Baltistan nach Kaschmir in Drass entdeckte. Als dilettantisch zu charakterisierende Zeichnungen der beiden Hauptskulpturen wurden 1854 zusammen mit einer Inschrift von Cunningham publiziert. A. H. Francke war offenbar der erste, der die beiden Hauptfiguren richtiger Weise als Maitreya und Avalokiteśvara identifizierte. Francke (S. 105f) verdanken wir auch die einzige existierende detaillierte Beschreibung aller vier seinerzeit vorhandenen Stelen. Das erste Photo der Maitreya-Statue wurde von Jane E. Duncan 1906 in ihrem Buch “A Summer Ride through Western Tibet” (see plate 110) veröffentlicht. Das nächste mir bekannte veröffentlichte Photo erschien 1926 und stammt von Filippo De Filippi (siehe Abbildung 94). Es zeigt neben den Figuren von Maitreya und Avalokiteśvara auch den Reiter, zu dessen Tod die Stelen errichtet wurden. Als Filippo De Filippi die drei Säulen photographieren lies, befanden sich die Steinsäulen noch in einem recht guten Zustand. Das erste Photo, welches alle vier Säulen zeigt, wurde von Snellgrove and Skorupski 1977 (dort plate 111) publiziert. Die erste Bearbeitung der von Cunningham abgedruckten Sanskritinschrift wurde von B. K. Deambi 1997 vorgelegt. Als ich im Jahre 2013 die Steinsäulen besichtigte, waren diese teilweise zerstört. Von der Avalokiteśvara-Statue war nur noch der untere Teil vorhanden. Die Seitenteile der Maitreya-Statue waren abgeschlagen und die von Francke beschriebenen Inschriften verschwunden. Eine detaillierte Dokumentation der nunmehr fünf unter einem primitiven Schutzdach aufgestellten Säulen wurde von mir 2014 veröffentlicht (siehe Schuh/Ajaz Munshi, S. 95-105). Als ich im August 2014 die Statuen erneut aufsuchte, musste ich feststellen, dass diese bedeutenden Denkmäler zur Geschichte von Drass und Purig nunmehr fast völlig zerstört worden sind. Man hat die Säulen mit einer nicht abwaschbaren, weissen für Strassenmarkierungen verwendeten Farbe übergossen.

Abbildung 94: Die buddhistischen Skulpturen von Drass im Jahre 1913: Der Reiter (links), Maitreya und Avalokiteśvara (rechts). Quelle: De Filippi (3), S. 26 

Abbildung 95: Die buddhistischen Skulpturen von Drass im Jahre 2013 (9. Oktober 2013)

   

 

 

Abbildung 97: Maitreya Statue von Drass am 9. Oktober 2013

 

Abbildung 98: Maitreya Statue von Drass am 25. August 2014

   

Abbildung 99: Rest der Avalokiteśvara Statue am 9. Oktober 2013

 

Abbildung 100: Rest der Avalokiteśvara Statue am 25. August 2014

A. H. Francke hat darauf hingewiesen, dass die von Cunningham veröffentlichte Inschrift, die sich nach seinen (S. 105f) und Cunninghams (S. 382) Angaben auf der Rückseite der Stele mit der Darstellung des Reiters befand, eng mit der Errichtung dieser Monumente verbunden ist. Wenn wir der Übersetzung dieser Inschrift durch Deambi folgen, wird evident, dass die Inschrift uns über die Geschichte der Errichtung der Maitreya und Avalokiteśvara Standbilder informiert:

Homage, These images of Lokesvara (i.e. Avalokitesvara) and Maitreya were installed by Kyasa for the increase of the religious merit of all living beings and for the glory of Atha, who was a horseman and who belonged to the family of Tharana. The architect was Naddha, resident of Dra-ala.”

Offenkundig wurden die Steinfiguren in Drass aus Anlass des Todes des als Reiter dargestellten Herrschers namens Atha errichtet. Die für die Inschrift verwendete Schrift ist die Śāradā-Schrift und die Sprache der Inschrift ist Sanskrit. Dies zeigt, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Monumente in Drass dieses Gebiet auch unter dem kulturellen und religiösen Einfluss von Kaschmir stand. Eine vergleichbare Darstellung eines Reiters findet sich in dem nicht weit von Drass entfernten Suru-Tal südlich des Dorfes Skitmartse. Hier ist der Reiter auf einem Relief unterhalb der Darstellung eines Avalokiteśvara abgebildet.

Abbildung 101: Das Avalokiteśvara Relief von Skitmartse (September 2013)

Abbildung 102: Pferd und Reiter auf dem  Avalokiteśvara Relief von Skitmartse (September 2013)

Francke (S. 105) hat angenommen, dass der in Drass dargestellte Reiter einen Rāṇā (Skr. rājānaka) darstellt. Diese Annahme basiert auf einem Aufsatz von J. Ph. Vogel. In seinem 1908 veröffentlichten Artikel “The Rāṇās of the Panjāb Hills” bezeichnet Vogel (S. 537) solche Herrscher als “Barons of the hills.” Vogel erwähnt, dass diese Rājānka häufig als Reiter auf grossen Steinplatten dargestellt wurden, welche man für die verstorbenen Herrscher errichtete. Francke nahm offenbar an, dass die politische Struktur von Drass und Suru jener der Panjāb Hills und von Chamba ähnelte. Dies bedeutet, dass man auch die indischen Gebiet im Süden von Drass und Suru, wie z. B. Kishtwar, in Betracht ziehen muss, wenn man die kulturellen Einflüsse untersuchen will, die bei der Errichtung der buddhistischen Altertümer in Drass und Skitmartse dominierten. In jedem Fall aber haben tibetische Einflüsse bei der Errichtung dieser Altertümer keine Rolle gespielt.

2.2 Kriegerische Einfälle aus Kaschmir und Ladakh in Drass und Purig in der Zeit vom 15. bis zum 16. Jahrhundert

Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit der Eroberung von Ladakh und der Region des heutigen Baltistan durch die Armeen des tibetischen Grossreiches spätestens zu Beginn des 8. Jahrhunderts n. Chr. auch Drass in den Machtbereich des damaligen Tibets integriert wurde. Für die Geschichte von Drass während der unmittelbar darauf folgenden Jahrhunderte gibt es bisher keine schriftlichen Quellen. Immerhin liefern die oben erwähnten buddhistischen Altertümer in Drass und im Suru-Tal einen Hinweis darauf, dass Drass im 11. und 12. Jahrhundert unter dem politischen Einfluss von Kleinkönigen stand, die vermutlich aus Kaschmir oder Kishtwar etc. stammten.

Seit dem 15. Jahrhundert liegen uns Quellen aus Kaschmir vor, die über politische Ereignisse berichten, die das zu Kaschmir unmittelbar benachbarte Tibet (Bhuṭṭa oder Bhauṭṭa) betreffen. Als Sanskrit Quellen sind hier Jonarājas Rājataraṅgiṇi und Śrīvaras Rājataraṅgiṇi zu erwähnen, die beide im 15. Jahrhundert entstanden sind und die mir in der Übersetzung von Jogesh Chunder Dutt vorliegen. Als wichtigste persische Quellen seien hier nur das Tarikh i Firishta des 1560 geborenen Muhammad Qāsim Firishta und das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandene Tarikh-i-Rashidi von Mirza Haidar aufgeführt. Aus diesen Quellen ergeben sich folgende Raubzüge, die mit Sicherheit alle die Region von Drass als Durchgangsland betroffen haben.

Invasion von Klein-Tibet durch Truppen aus Kaschmir (Dutt, S. 55; Firishta, S. 462f) unter Führung von Ray Makry (~ Uddaka) zur Regierungszeit von Sikandar (~ Shekandhara, 1394-1416). Dieser Einfall betraf offensichtlich nur Drass und Purig und nicht, wie Petechs ((1) S. 22) Schilderung dieser Ereignisse nahelegt, die Region des heutigen Baltistan, zumal Petech selbst behauptet, die Armee aus Kaschmir habe bei ihrem Einfall den Pass Zoji La überquert.

Raubzug von Sultan Zain ul-Abidin (1420-1470) nach Tibet (Dutt, S. 84; Firishta, S. 469; Petech, S. 23), der offenbar kurz nach 1420 stattfand. Jonarājas Rājataraṅgiṇi erwähnt eine Schlacht in der Nähe des Ortes Shayā (= Sheh?), die Zerstörung der Stadt Lūta (?) und erfolgreiche Kämpfe des Sultans mit Widersachern aus Guge. Insofern dürfte dieser Einfall in Drass, Purig und Ladakh, der eine Plünderung der Schätze des überfallenen Landes zur Folge hatte, auch die temporäre Einnahme von Ladakh (Gross-Tibet) eingeschlossen haben. Die Erwähnung von Guge und eine Bemerkung in Firishta (S. 470), der König von Tibet habe an Sultan Zain ul-Abidin Vögel vom Manasarovar-See geschickt, sind wohl als Hinweis zu bewerten, dass Ladakh in dieser Zeit unter der Oberherrschaft von Guge stand.

In die Regierungszeit von Sultan Zain ul-Abidin fällt ein weiterer Raubzug nach Tibet, der von seinem Sohn Adam Khan durchgeführt wurde (Firishta, S. 471; Dutt, S. 105f). Firishta schreibt über den Ausgang dieses Überfalls, der zu mindestens Drass und Purig als Ziel hatte: „The former succeeded in overrunning Thibet, and returned, covered with glory, and laden with spoils, to the capital.”

Der nächste Überfall aus Kaschmir gegen Klein- und Gross-Tibet (Bhuṭṭa) ereignete sich nach dem Bericht in der Rājataraṅgiṇi von Śrīvara (Dutt, S. 253) während der Regierungszeit von Hasan Shah (1473-1486), wobei die Truppen aus Kaschmir von Jyahāṅgira und Nāsera angeführt wurden. Die beiden Heerführer operierten getrennt mit dem Ergebnis, dass einer von Ihnen erfolgreich nach Kaschmir zurückkehrte, während der andere eine vernichtende Niederlage erlitt. Der geschilderte Überfall richtete sich wiederum gegen Drass, Purig und Ladakh.

Die folgende Katastrophe, die sicherlich auch Purig und Drass betraf, war ein Überfall aus Zentralasien, der die Gebiete „Tibets“ bis zur Grenze von Kaschmir in Mitleidenschaft zog und der um 1500 stattfand. Der Überfall geschah auf Veranlassung von Mirzá Abá Bakr aus Yarkand. Mirza Haidar (S. 253f) berichtet über diesen Überfall, der von einem Truppenführer namens Mir Vali geleitet wurde, folgendes: „In the first place, he sent an army into Tibet. It gained glorious victories, subdued most of the districts of Tibet as far as the frontiers of Kashmir, and carried such desolation into those countries, that nobody was left to withstand him.”

Im Herbst des Jahres 1532 durchquerte Mirza Haidar, der im Sommer des gleichen Jahres aus Zentralasien kommend in Ladakh (Máryul) eingefallen war, mit einer mehrere tausend Krieger umfassenden Armee die Region von Purig und Drass, um Kaschmir zu erobern. Dieser Durchmarsch ging ohne besondere Zwischenfälle von statten. Allerdings musste die Bevölkerung offenbar die durchreisenden Truppen versorgen. Dagegen mündete der Rückmarsch im Jahre 1532 einer Katastrophe für die durchreisten Länder. Mirza Haidar hat die Plünderungen, die dabei insbesondere Purig betrafen, wie folgt beschrieben (S. 442): “On reaching the frontiers of Tibet many of the inhabitants hastened out to receive us, bringing presents and flocks. But Kársa, which is a district of Tibet, contains a valley, which is as narrow as a miser’s heart, and in it is a deep ravine, forming a lofty rampart wall, which seemed beyond the realms of possibility to pass. ... Trusting to this valley, which they considered no human could take, they were refractory and refused to pay the tribute [demanded of them]. ... In short, fierce fighting ensued. ... Finally the infidels were routed out and most of them perished ... All their women, children and families fell a portion to the victorious army. ... To save their own lives and those of their children, they came and delivered up whatever they possessed. All the property of the province of Purik, which is one of the most important in Tibet, was collected, together and distributed among the Amirs and soldiers of our army.”

Mit diesen Plünderungen sollte das Elend, welches die Raubzüge von Mirza Haidar für Purig und wohl auch Drass verursachten, nicht beendet sein. Nach seinem fehlgeschlagenen Versuch, Zentral-Tibet zu erobern, tauchte er 1534 wieder in der Region von Purig auf. Anders ist nämlich seine Aussage, dass er mit 700 Mann in die Region “Bálti, which touches the confines of Kashmir” einmarschierte, nicht zu interpretieren. Die Mehrzahl der Einwohner bezahlten die von Mirza Haidar eingeforderten Abgaben ohne Widerstand. Allerdings leistete die Region Suru Widerstand. Eine militärische Abordnung von 24 Mann, die versuchte, nach Suru vorzudringen, wurde restlos aufgerieben, und es gelang Mirza Haidar nicht, sich für diese Niederlage zu rächen.

21 Jahre später, im Jahre 1545, brachte Mirza Haidar - diesmal aus Kaschmir kommend - erneut Not und Elend über die Region von Drass und Purig. In diesem Jahr drang er nach Tibet ein und plünderte u.a. einen Distrikt, den Briggs als Looshoo erwähnt (Firishta, S. 499). Rodgers (S. 117) spricht von Lansur. Der Ort ist unbekannt und überhaupt dürfte sich Mirza Haidar bei dieser Aktion auf den Westen Tibets, also Drass und Purig, beschränkt haben.

Im Jahre 1548 begann Mirza Haidar einen erfolgreichen Feldzug gegen Klein-Tibet und Groß-Tibet, in dessen Folge er Mullah Qasim als Regenten für Klein-Tibet und Mullah Hasan als Regenten für Groß-Tibet installierte (Firishta, S. 501). Bezüglich des hier genannten Klein-Tibet ist anzumerken, dass es sich dabei wiederum um die Region des heutigen Drass und Purig handelte. Beide Regentschaften haben Mirza Haidars Tod im Jahre 1551 nicht überdauert. Mullah Qasim wurde schon vor 1551 in Tibet umgebracht (Bahāristān-i-Shāhī, 12-85). Zur gleichen Zeit revoltierten die Tibeter und trieben Mirza Haidars Truppen aus ihrem Land.

In den Folgejahren wurde Drass und Purig von drei weiteren Angriffen aus Kaschmir heimgesucht. Das Tarikh i Firishta schreibt (p. 506-507): At this time a body of Thibetians made an inroad into Kashmeer, and drove off some sheep from the district of Gava. The invaders were immediately pursued by a large body of Kashmeeries under Heibut Khan, the son of Ghazy Khan ; for men were now ready to follow, at a moment’s warning, any leader who offered them an object of plunder. Heibut Khan retaliated by invading Thibet, and sacking everything in his way ; and having spread desolation far and wide, arrived at one of the forts, which he took, and put the governor to death with his own hands. Proceeding far into the interior of the country, he obliged the Thibetians to present him with three hundred horses, five thousand Puttoo cloaks, one hundred sheep, and thirty Kootas cows. He compelled them also to restore all the good horses they took during their last inroad into Kashgar, which Heibut Khan retained for his father, Ghazy Khan Chuk, to whom he presented them on his return.”

Der nächste Überfall ereignete sich im Jahre 1562. Die Quelle hierzu ist wiederum das Tarikh i Firishta (p. 513-514): In the year 970, Ghazy Shah marched at the head of his army to Lar, from whence he sent his son, Ahmud Khan accompanied by Futteh Khan and Nasir Kutaby to invade the territory of Thibet. When they arrived within ten miles of the border, Futteh Khan proceeded to the capital without receiving Ahmud Khan’s orders ; and as the Thibetians were neither capable nor willing to oppose the Kashmeer troops, they agreed to pay a large sum of as a ransom for their country. The Prince Ahmud Khan, who was entrusted with the expedition in Thibet, was so vexed that he had no share in the invasion conducted by Futteh Khan that he resolved to enter Thibet in spite of the conditions made by the Thibetians. On this occasion, however, Futteh Khan lost his life, and Prince Ahmud sustained so severe a defeat, that he was constrained to return with disgrace.”

Ein weiterer Überfall durch Ghazy Shah fand im Jahre 1563 statt  (Firishta, S. 514).

Die beiden letztgenannten Einfälle waren nicht sehr erfolgreich. Sie markieren ohnehin das Ende der räuberischen Einfälle von Seiten Kaschmirs in Drass und Purig, was offenbar auch mit der Entstehung einer zentralen Macht im östlichen Ladakh, der Eroberung von Kaschmir durch den Moghul-Kaiser Akbar im Jahre 1586 und der Entstehung eines neuen Machtzentrums in Baltistan unter Ali Sher Khan zusammenhing.

Das Ende von Mirza Haidars Herrschaft in Ladakh und Purig im Jahre 1551 markierte den Aufstieg einer neuen Herrscherdynastie im nunmehr geeinigten Ladakh. Die ersten Herrscher dieser Dynastie waren Trashi Namgyel (bKra-shis rnam-rgyal), Tshewang Namgyel (Tshe-dbang rnam-rgyal) und Jamyang Namgyel (´Jam-dbyangs rnam-rgyal). Sie regierten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Ende der Einfälle aus Kaschmir hatte von daher keinesfalls den Beginn einer Periode des Friedens für Purig und Drass zur Folge. Waren es für die Periode zwischen 1400 und 1560 Einfälle aus Kaschmir oder Zentralasien, in denen die beiden Regionen ausgeplündert wurden, folgten nunmehr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts militärische Einfälle aus dem Osten, nämlich aus Ladakh.

Die wichtigste Quelle hierzu ist die Chronik La-dvags rgyal-rabs, die von A. H. Francke herausgegeben und übersetzt wurde (siehe Francke (1)). Nach dieser Chronik eroberte Trashi Namgyel ein Gebiet, was Purig einschloss (Francke 1, p 37: bu rig gyen chad… mnga´ ´og tu bsdus). Die Chronik berichtet weiter, dass Tshewang Namgyel im Westen Gebiete bis Shi-dkar und Kha-dkar eroberte (Francke 1, p 37: nub phyogs shi dkar dang kha-dkar tshun chad mnga´ ´og tu bsdus). Francke und Petech nahmen an, dass Shi-dkar identisch ist mit dem Shigar-Tal nördlich von Skardu im heutigen Baltistan. Jedoch ist das hier erwähnte westliche Shi-dkar offenkundig mit dem im Westen von Ladakh und nördlich von Drass gelegenen Tal des Shiggar-Flusses gleichzusetzen. Dass die vorstehend erwähnten Eroberungen keineswegs eine dauernde Eroberung von Drass und Purig durch die Könige von Ladakh zur Folge hatten, zeigt der verunglückte Feldzug von Jamyang Namgyel gegen Purig, der im Jahre 1592 stattfand. Nach der Chronik La-dvags rgyal-rabs war der Grund für die militärische Intervention von Jamyang Namgyel in Purig ein Streit zwischen zwei lokalen Herrschern. Der Feldzug, an dem der ladakhische König persönlich teilnahm, missglückte durch das Eingreifen des berühmten Ali Sher Khan aus Skardu in diesen Konflikt. Ali Sher Khan konnte Jamyang Namgyel gefangen nehmen, fiel anschliessend mit seiner Armee in Ladakh ein und plünderte das Land (siehe auch Schuh/Ajaz Munshi, S. 152).

2.3 Anmerkungen zur frühen Islamisierung von Drass und Purig

Die Islamisierung von Drass ist eng verbunden mit der Einführung des Islams im Gebiet von Purig und in der Region des heutigen Baltistans (siehe auch den Artikel Baltistan 4.2. Zur Islamisierung Baltistans). Petech ((1), S. 22f) hat die Islamisierung mit den räuberischen Kriegszügen von Kaschmir gegen Klein-Tibet in Verbindung gebracht. Offenbar glaubte er, dass diese Raubzüge "unter dem Deckmantel eines Heiligen Krieges (jihād) gegen die Ungläubigen durchgeführt wurden." Abgesehen von den Raubzügen von Mirza Haidar, kann ich aber Hinweise auf die Absicht der Durchführung eines Heiligen Krieges bei den Einfällen aus Kaschmir in den Quellen nicht finden. Andererseits bemerkt Petech zu dem Einfall von Sikander nach Klein-Tibet folgendes: „At an unknown date (probably much later) and under unknown circumstances Baltistan and Purig were converted to Islam.“

Berücksichtigt man die inzwischen durch Übersetzungen etc. zugängliche, in Persisch verfasste hagiographische Literatur über das Wirken von Heiligen des Islams in Kaschmir, so ist unübersehbar, dass die Anfänge der Ausbreitung des Islams nach Klein-Tibet offenbar eng mit den Aktivitäten von bestimmten Heiligen verbunden waren. Soweit diese Personen bekannt sind, mussten sie alle Kaschmir verlassen, weil sie Konflikte mit den dort jeweils herrschenden Sultanen hatten. Sie gingen also nach Tibet ins Exil, wobei mit Tibet hier, schon aus Gründen der Nähe zu Kaschmir, zumeist nur die Region von Drass und Purig gemeint sein kann. Zu nennen sind hier Zainu’d Dīn, Shams ud-Din ’Irāqī, Sheikh Danial und Shah ’Arif.

Zainu’d Dīn war ein Heiliger (Rishī) des Sufī Ordens. Er ging nach Tibet wegen eines Streites mit Sultan Zain ul-Abidin (1420-1470). Hierzu schreibt Abdul Qaiyum Rafiqi (pp. 197-198): “The Sultān was displeased and asked him to leave his kingdom. Zainu’d Dīn agreed to leave the Valley and betook himself and some of his disciples to Tibet, where he was accorded a warm welcome. But soon the son of the ruler died and the people blamed Zainu’d Dīn.” Zainu’d Dīn bekehrte einige Leute in “Tibet” zum Islam. Jedoch wurde er gerade wegen dieser Aktivitäten mit einer starken Opposition der Einwohner seines Exil-Landes konfrontiert. Die älteste Quelle für Zainu’d Dīn’s Aktivitäten in “Tibet” ist das Tārīkh-i Kashmīr, geschrieben 1579 von Saiyid ‘Ali (S. 129 and S. 154).

Der nächste Heilige, der hier zu nennen ist, war Shams ud-Din ’Irāqī. Er war ein prominenter Vertreter der Nūrbakhshīya Sekte. ’Irāqī musste ebenfalls mit einem Gefolge von fünfzig Sufis ca. 1505 für einige Zeit Kaschmir verlassen. Zwar schreibt seltsamer Weise praktisch die gesamte wissenschaftliche Sekundärliteratur hierzu, dass Shams ud-Din ’Irāqī nach Skardu emigrierte, doch wird diese Ortsbestimmung durch keine der älteren Quellen bestätigt. Selbst das Tuḥfat al aḥbāb, eine in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geschriebene, ausführliche Biographie dieses Heiligen, erwähnt nach schriftlicher Auskunft von Shahzad Bashir ausschliesslich „Tibet“ als Exilort. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Shams ud-Din ’Irāqī und seine zahlreichen Anhänger in das – im Vergleich zum heutigen Baltistan oder Skardu – sehr viel einfacher zu erreichende Drass und Purig emigrierten.

Das Gleiche gilt für Sheikh Daniel, einen Sohn und Nachfolger von Shams ud-Din ’Irāqī. Hierzu berichtet das Bahāristān-i-Shāhī, eine anonyme Chronik, die zur Regierungszeit des Moghul-Kaisers Jahangir (1605-1627) geschrieben wurde (S. 140): “In 956/1549 Mirza Haidar went to Tibet and captured Shaik Daniyal there and imprisoned him. Shaik Daniyal had fled to Tibet as soon as Mirza Haidar had arrived (in Kashmir).” Das Tārīkh-i Kashmīr von Haidar Malik, welches 1720/21 geschrieben wurde, berichtet über Sheikh Daniel (pp. 123-124): “Shaikh Danyal son of Shaikh Shams-ud-Din Iraqi, “the defendes of the Shaiks”, who had gone to Tibbet out of fear of Mirza Haidar, was called back on oath and promise, but then he was killed and burnt…In A. H. 956 (A. D. 1549), he (Mīrzā Ḥaidar) left for Tibet, where he arrested Shaykh Dāniyāl.”

Der vierte hier zu nennende Heilige, Shah ’Arif, war ein Rishī oder Derwisch des Sufi Ordens. Shah ’Arif wurde am Moghul Kaiserhof als Geistlicher so sehr geschätzt, dass Al-Badaoni ihm in seinem Muntakhab ut-tawarikh (S. 98-101) ein eigenes Kapitel widmete. Shah ’Arif erreichte die Region des heutigen Baltistan im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts. Zuvor hatte er wegen Streitigkeiten mit dem kaschmirischen Herrscher ’Ali Chak (regierte von 1570-1578) Kaschmir verlassen müssen. Nach Abu´l Fazl (Vol. III, S. 847) heiratete Shah ’Arif in Baltistan eine Schwester von Ali Zād. Bei dem letztgenannten handelt es sich um den berühmten Skardu-Herrscher Ali Sher Khan.

Vertreter der Nūrbakhshīya Sekte sind auch heute noch in Drass, wie z. B. in Kharbu, anzutreffen. Details über die weitere Verbreitung und Festigung des Islams in Drass in den folgenden Jahrhunderten sind noch nicht erforscht. Dies gilt auch für die Frage, inwieweit nach 1600 auf Druck des Moghul-Kaiserreiches zunächst lokale Herrscher in Drass zum Islam konvertierten und damit die Islamisierung der übrigen Bevölkerung beförderten.

2.4 Drass im 17. Jahrhundert

Während des 17. Jahrhunderts stand Drass und Purig im Zentrum des Interessenkonflikts zwischen Kaschmir, welches von Gouverneuren des Moghul-Reiches Indiens verwaltet wurde, Ladakh und den Königreichen des heutigen Baltistan. Dabei waren die Herrscher Baltistans, insbesondere die von Skardu und Kartaksho, die natürlichen Verbündeten des südlich gelegenen Purig. Inwieweit das an Kaschmir angrenzende Drass von diesen Konflikten unmittelbar betroffen war, ist nicht wirklich geklärt.

Von dem in den frühen 20er Jahren des 17. Jahrhunderts von Ladakh gegen Cigtan geführten Krieg kann Drass nicht betroffen worden sein.

1636 eroberte eine Armee des Moghul-Kaisers Shah Jahan Skardu. Der Einmarsch erfolgte über die Deosai Hochebene und kann somit Drass ebenfalls nicht berührt haben.

1638/39 unternahm der ladakhische König Sengge Namgyel (Seṅ-ge rnam-rgyal) den Versuch, Purig zu erobern. Aus einem von Peter Schwieger veröffentlichen, 1651 ausgefertigten Dokument aus Henasku können wir entnehmen, dass die ladakhischen Truppen gegen Kartaksho vorrückten. Dies bedeutet, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen der Region Drass bedenklich nahe rückten. Die Armee von Sengge Namgyel wurde aber in diesem Krieg letztendlich von Truppen aus Kaschmir und Baltistan besiegt, was bedeutet, dass die Soldaten aus Kaschmir mehrfach die Region von Drass durchquert haben (siehe: Adam Khan 5. Krieg gegen den ladakhischen König Sengge Namgyel).

Die zweite Eroberung von Skardu durch Truppen aus Kaschmir im Jahre 1650 unter Führung von Adam Khan kann Drass nicht tangiert haben.

Dies gilt vermutlich auch für den Krieg von Murad Khan aus Skardu gegen Bod Kharbu, der zwischen 1562 und 1658 ausgefochten wurde. Anders verhält sich dies mit der Eroberung von Purig durch den ladakhischen General Shakya Gyatsho (Śākya rgya-mtsho) im Jahre 1673.  Shakya Gyatsho eroberte sowohl das Suru-Tal wie auch das nord-östlich von Kargil gelegene Fürstentum Sod. Es ist völlig unwahrscheinlich, dass Drass bei diesem Krieg unbehelligt blieb.

Die Befreiung von Purig von ladakhischer Herrscher durch den Feldzug des kaschmirischen Gouverneurs Ibrahim Khan zu Beginn der 80er Jahre des gleichen Jahrhunderts hatte naturgemäss den Durchmarsch von Truppen aus Kaschmir in Drass zur Folge. Dies trifft auch für das Heer aus Kaschmir zu, das wenige Jahre später in Ladakh einrückte, um den König von Ladakh erfolgreich in seinem Kampf gegen eine Invasion aus Zentraltibet zu unterstützen.

Es gibt Hinweise darauf, dass der Durchmarsch der Truppen des Moghul-Reiches nicht notwendiger Weise die Plünderung der durchquerten Länder zur Folge hatte. So berichtet Abu´l Fazl (S. 1091) über den dritten Besuch von Kaiser Akbar in Kaschmir im Jahre 1597, dass der Kaiser von einer geplanten Invasion gegen Ladakh Abstand nahm, weil es nicht möglich war, die Invasionsarmee in Kaschmir mit der nötigen Verpflegung für den Einfall auszustatten. Insofern ist anzunehmen, dass die Durchmärsche der Truppen aus Kaschmir durch Drass im 17. Jahrhundert für die Bevölkerung leichter zu ertragen waren, als die oben geschilderten Raubzüge und Einfälle des 15. und 16. Jahrhunderts.

Anzumerken ist hier noch, dass Drass während des 17. Jahrhunderts sowie in den folgenden Jahrhunderten ein Durchgangsland für den lebhaften Handelsverkehr zwischen Ladakh und Kaschmir war. Es ist aber nicht anzunehmen, dass die Bevölkerung von Drass von diesem Handel in irgendeiner Weise profitierte.

2.5 Drass vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn der Dogra-Herrschaft

Die politischen Verhältnisse in Drass bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts sind bisher unbekannt. Allerdings geben die Festungen von Kharbu (siehe Abbildungen 60-63) und Pandras (siehe Abbildungen 20-21) einen Hinweis darauf, dass Drass wie andere Kleinregionen in Purig einstmals eine Art Fürstentum war, dessen Zentrum vermutlich auf einem heute unbebauten Hügel östlich des Polo-Platzes oberhalb der heutigen Stadt Drass lag. Ein Beleg hierfür ergibt sich aus einer Herrscherurkunde der Königin Tendzin Butri Wangmo (bsTan-´dzin bu-khrid dbang-mo). Dieses Dokument wurde im Jahre 1764/65 ausgefertigt. Die Urheberin dieses Urkunde war zur Zeit der Ausfertigung die Witwe des Königs Trashi Namgyel (bKra-shis rnam-rgyal), der etwa seit den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts bis zu seinem Tod zu Beginn der 60er Jahre das eigenständige Königreich Purig von Mulbekh aus regierte. In der Urkunde der Königswitwe wird die vom verstorbenen König Trashi Namgyel ausgesprochene Ernennung von no-no Wanggyel (dBang-rgyal) zum Burgvogt (mkhar-dpon) von He-´bab (=Drass) erwähnt und es werden ihm Teile der Gebiete übereignet, die früher von einer Person namens Is-mal mKhan (Ismail Khan) in Drass konfisziert worden waren. Offenbar handelt es sich bei Ismail Khan um den Herrscher von Drass, der vor der Übernahme der Macht durch Trashi Namgyel´s Vater in Drass regiert hatte.

Abbildung 103: 1. Teil der Herrscherukunde der Witwe des Königs von Purig aus dem Jahre 1764 mit der Bestätigung der Ernennung von no-no Wanggyel zum Burgvogt (mkhar-dpon) von Drass und der Anordnung der Übereignung von Besitztümern des ehemaligen Herrschers Ismail Khan.

Abbildung 104: 2. Teil der Herrscherukunde der Witwe des Königs von Purig aus dem Jahre 1764 mit der Bestätigung der Ernennung von no-no Wanggyel zum Burgvogt (mkhar-dpon) von Drass und der Anordnung der Übereignung von Besitztümern des ehemaligen Herrschers Ismail Khan.

Der Verlust der Eigenständigkeit von Drass geht zurück auf einen Feldzug des Jahres 1720. Anlass war eine Revolte der Herrscher von Suru Kartse und Sod gegen Nyima Namgyel (Nyi-ma rnam-rgyal), der als König von Ladakh bis zu seiner Abdankung im Jahre 1734 regierte. Nyima Namgyel schickte im Jahre 1720 Truppen und lies die Rebellion niederschlagen. Einer der Heerführer war Tshültrim Dorje (Tshul-khrims rdo-rje), der Vater des oben erwähnten no-no Wanggyel. Während der Herrscher von Sod Teile seines Territoriums abtreten musste, wurde Suru Kartse direkt der Verwaltung des ladakhischen Königs unterstellt. Zum Burgvogt von Suru Kartse wurde gegen Ende der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts eben jener Heerführer Tshültrim Dorje ernannt, dem ausserdem bedeutende Besitztümer im oberen Suru-Tal übertragen wurde. Es steht ausser Frage, dass als Folge dieser Ereignisse auch Drass seine Eigenständigkeit verlor und direkt der Verwaltung durch den Königshof von Mulbekh unterstellt wurde. Vermutlich war Ismail Khan der letzte Herrscher von Drass. Er ist somit auch der Einzige dieser ehemaligen Fürsten, dessen Name uns bekannt ist.

 Nach dem Tod von Trashi Namgyel ging die eigentliche Macht über Purig wieder auf den König von Ladakh über, welches von Tshewang Namgyel (Tshe-dbang rnam-rgyal) regiert wurde. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass in einer ebenfalls 1764/65 ausgefertigten Urkunde dieses Königs auch Drass (He-´bab) als eine der Regionen genannt wird, die von ihm regiert wurden.

Abbildung 105: Urkunde des Königs Tshewang Namgyel aus dem Jahre 1764, in der Drass (He-´bab) als zu Ladakh gehörendes Gebiet genannt wird

Man könnte annehmen, dass mit der Zugehörigkeit von Drass zum Königreich von Ladakh nunmehr eine Periode des Friedens und der Ruhe in Drass eingekehrt war. Um mehr ist man erstaunt, wenn man den Bericht dessen oben schon erwähnten Izzet Ullah liest, der Drass 1812, also mehr als zwanzig Jahre vor der Eroberung von Purig und Ladakh durch die Dogra, besuchte. Izzet Ullah schreibt nämlich über seine Eindrücke von der Region zwischen Matayan und Drass Stadt (S. 105f): „The houses of this country hitherward from Matayin were all in ruinous and deserted condition, a number of Persons having been carried off the year before by a party of people called Dardi, an independent mauntain tribe, three or four marches, north of Diriras, who speak the Pushtu as well as the Daradi language … The prisoners they make in these predatory incursions, they sell as slaves. After this transaction a party of matchlock men were stationed at Diriras, by order of the ruler of Cashmir, under the son of Malek Ahkám who holds half the revenue of the country from Matayin to Diriras, in jagir from the Raja of Tibet.”

Der Schutz dieser mit Vorderlader bewaffneten Truppe dürfte keinen langdauernden Erfolg gehabt haben. Bemerkenswerter Weise findet sich bei Moorcroft, der mehr als zehn Jahre später Drass zum zweiten Mal besuchte und mit einer mit modernen Waffen ausgerüsteten Truppe reiste, folgender Bericht (S.88ff): „On my arrival at the first house, called Sugatial, I was informed that Dras had been plundered on the preceding night by the Raja of Hasora [Astor], with eight hundred men, of all the cattle and every thing of value. Three hundred men, it was said, occupied the plain where I had pitched my tent in July, and several parties were pointed out to me… the cattle and other property they carried off, along with the Karpun of the district. Two men, badly wounded, came to me to be dressed ; and in one of the houses was found the body of Mohammed Malik, … who had been shot in his apartment. Another man who had been killed was a Kashmirian… It appeared that about five hundred horses, eight hundred head of neat cattle, and ten thousand sheep had been carried off, and that most of the domestic utensils, and all of the best wearing apparel had been taken away, reducing the villagers from a state of relative affluence to absolute misery.”

Folgen wir den Darlegungen von Mooocroft und von Izzet Ullah, so stand Drass in seiner Zeit unter der Verwaltung von Ladakh und eines Grossgrundbesitzers von Kaschmir. Beide Parteien waren zwar an den Steuereinahmen aus Drass interessiert, dachten aber nicht daran, Mittel für den Schutz der Bevölkerung aufzuwenden, obwohl die Gefahren von Seiten räuberischer Nachbarn aus dem Norden und Nord-Osten sehr wohl bekannt waren. Moorcroft merkte hierzu an (S. 41): „The population of Dras is small, and in poverty, being much exposed to predatory incursions from Little Tibet, the government taking no means for their protection.”

3 Literatur

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Autor: Dieter Schuh, 2014, unter Mitarbeit von Ajaz Hussain Munshi (ortskundige Führung), Siegfried Rademacher (diverse Photos) und Mohammed Fayaz (Erkundung von Lankarchay Broks)