Tibet-Encyclopaedia

 

Handschrift zur Pferdeheilkunde. Untere Seite: Behandlung von Nierenkrankheiten

 

Tibetische Pferdeheilkunde (rta-bcos) 

Die Tibetische Pferdeheilkunde (Hippiatrie, rta-bcos) ist ein Teilgebiet der Tibetischen Medizin (sman-bcos). Wegen der hohen Wertschätzung der Pferde für das tibetische Wirtschaftsleben, das Militär und den Sport (Pferderennen) war die Möglichkeit einer veterinärmedizinischen Behandlung von Pferden für die Pferdebesitzer von großer Bedeutung. Die ältesten tibetischen Text zur Pferdeheilkunde stammen aus der Zeit der Yar-lung-Dynastie (7. - 9. Jahrhundert) und wurden von A. Blondeau bearbeitet. Neuere Forschungen wurden in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der zum tibetischen Himalaya gehörenden Region Nord-Mustang durchgeführt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Forschungen wird als Einführung in die tibetische Pferdeheilkunde im Folgenden vorgelegt.

Inhaltsverzeichnis

1. Umfeld und Gegenstand der Forschung
2. Handschriften zur Pferdeheilkunde
3. Pharmakologische Therapie
4. Der Aderlass (gtar-ba)
5. Moxibustion (me-btsa’)
6. Kauterisation (me-tshugs)
7. Chirurgische Eingriffe
8. Andere Heilmethoden
9. Ausblick
10. Literatur

1. Umfeld und Gegenstand der Forschung

Handschrfit zur Pferdeheilkunde des Fürsten von Jahrkot

In den 1990er Jahren wurden in den Regionen Dolpo und Mustang in Westnepal mehrere Manuskripte zur tibetischen Hippiatrie und Hippologie bei privaten Pferdeheilern und in Klöstern entdeckt. Diese Manuskripte speziell zur Behandlung von Pferden wurden deswegen geschrieben, weil das Pferd wichtigstes Reittier und Fortbewegungsmittel überhaupt in diesen Regionen ist. Pferde indizieren, im Unterschied zu anderen Nutztieren, wie z.B. Yak, Schaf und Ziege, den sozialen Status und symbolisieren aufgrund ihres hohen Wertes einen besonderen Wohlstand. Auch im europäischen Raum findet sich Literatur zur Pferdeheilkunde, denn diese Tiere waren seit Alters her in vielen Kulturen von großer Bedeutung und wurden vor allem in der Kriegsführung genutzt.

Die Region Mustang liegt entlang des Kali-Gandaki Flusses, nördlich seines Durchbruchs zwischen dem Annapurna-Massiv im Osten und dem Dhaulagiri Massiv im Westen. Mustang kann geopolitisch in drei Regionen eingeteilt werden:
*Thak Khola, das von Jomsom im Norden bis nach Ghasa im Süden reicht,
* Baragoan, das die Dörfer im Muktinath-Tal umfasst und
* Nordmustang bzw. Lo mit der Hauptstadt Lo-Monthang.

Dolpo liegt weiter im Westen und wird im Südosten durch den Dhaulagiri und im Westen durch den Kanjiroba Himal begrenzt.

Mustang und Dolpo gehören zu den am dünnsten besiedelten Hochgebirgsregionen Nepals. Beide Landstriche verbinden das nördlich gelegene Tibet durch die einstigen Salzhandelswege mit Indien.

Die Hochgebirgsregionen Nepals schienen selbst noch in den 1990er Jahren kaum von der westlichen Zivilisation beeinflusst – abgesehen von den direkt an den Trekkingrouten gelegenen Dörfern, deren Restaurants schon damals mit Mikrowelle und dergleichen ausgestattet waren.

Nutztiere wie Pferde, Maultiere, Yaks und Dzos (eine Kreuzung aus Dri, der Yakkuh und dem Stier), Schafe und Ziegen spielten und spielen heute noch als Last- und Tragtiere eine große Rolle. Sie werden täglich bei der Feldarbeit eingesetzt und fungieren als Nahrungs- und Woll-lieferanten. Pferde werden aufgrund ihres hohen Wertes meist nicht als Lasttiere, sondern nur als Reittiere genutzt. Die tibetischen Pferde sind mit einer mittleren Schulterhöhe von 1,40 m im Vergleich zu den hiesigen Pferderassen recht kleinwüchsig, aber – was in diesen Bergregionen notwendig ist – sehr trittsicher, zäh und ausdauernd und so zur Fortbewegung bestens geeignet. Ihre Zahl hat sich mit steigendem Tourismus drastisch erhöht, sie wurden zunehmend zum Trekking eingesetzt, vor allem in Nordmustang und in den Gebieten, die von Touristen nur in organisierten Gruppen unter Mitführung aller Nahrungsmittel und einem Grundstock an Brennmaterial betreten werden dürfen. Die starke Zunahme der Pferdehaltung hat den Nachteil, dass sich dadurch die Weidegebiete für andere Nutztiere verringern.

Das gesamte westnepalesische Gebiet war und ist sicher auch heute noch im Hinblick auf die ärztliche Versorgung – human- und tiermedizinisch –, unterversorgt, wobei Mustang im Vergleich zu Dolpo aufgrund des stärkeren Tourismus noch wesentlich entwickelter ist. In Mustang hatte die westliche Medizin bereits ab etwa den 60er Jahren Einzug gehalten. In der Veterinärstation in Jomsom z.B. wurden erkrankte Tiere mit westlichen Arzneimitteln behandelt. Doch insgesamt gesehen stehen viele Einwohner diesen Heilmitteln skeptisch gegenüber und vertrauen ihren althergebrachten Heilmethoden. Das führt dazu, dass bestimmte Erkrankungen eines Pferdes, wie Wurmkrankheiten, die zu einer völligen Abmagerung führen können, oft gar nicht behandelt werden und die Besitzer der Tiere auf Selbstheilung hoffen.

Hauptgesprächspartner waren der Humanmediziner und Pferdeheiler mtshams pa Ngag-dbang aus Dhumba, einem kleinen Dorf in Südmustang sowie Tharchin (mThar-phyin), der ehemalige Pferdeheiler des Königs von Mustang.

2. Handschriften zur Pferdeheilkunde

Die meisten Handschriften stammen aus dieser Region, z.B. die Handschrift des Königs von Mustang, die des Fürsten von Jharkot, die Handschriften des genannten Tshampa Ngawang (mtshams-pa Ngag-dbang) u. a. mehr. Die älteren wurden vor ca. 300 Jahren geschrieben, ihr Kern geht jedoch auf handschriftliche tibetische Quellen zurück, die vor dem 11. Jh. verfasst und in den Höhlen von Dunhuang gefunden wurden. Hippologie und Hippiatrie, also die Pferdekunde und Pferde-heilkunde, sind die beiden großen Themen, die in diesen Handschriften abgehandelt werden.
Zur Hippologie gehören u.a. die Alterseinschätzung eines Pferdes anhand seiner Zähne, die Ohr- und Augenarten, die Huflehre und die Pferdetypenlehre sowie Pharmakologie, Ernährung, magische Praktiken bei Pferderennen und Divination, das ist die Lehre von den Haarwirbeln eines Pferdes und ihre Auswirkungen auf das Leben des Pferdes, seines Besitzers und dessen Familie.

Die Diagnosearten, wie z.B. die Pulsdiagnose, Urinanalyse und Augendiagnose, die Anatomie und Physiologie sowie die Krankheitsbehandlung sind die Hauptgebiete der Hippiatrie.
Handgemalte Skizzen veranschaulichen die Krankheitssymptome und die jeweiligen Körperstellen für die Behandlung, wie Kauterisation oder Feuerakupunktur.

Die Krankheiten werden nach der chinesischen Heilkunde in Erkrankungen der sogenannten Voll- und Hohlorgane unterschieden. Darüber hinaus werden Verletzungen, Tierbisse, Störun-gen bei der Geburt, Luxation und diverse Hautleiden besprochen. Der Aufbau der Absätze ist in allen Manuskripten gleich: Zunächst wird die Diagnose genannt, dann werden die Symptome beschrieben und schließlich die notwendigen Heilmittel aufgezählt oder andere Therapievorschläge gemacht. Die Passagen enden meist mit einer Glückwunschformel, wie z.B. „Das hilft“ oder „Das ist gut“.

Therapeutische Maßnahmen zur Behandlung sind: die Applikation von Heilmitteln aus dem Pflanzen-, Tier- und Mineralienreich, Aderlass und Kauterisation, Moxibustion, Beräuchern, Bespritzen mit Wasser und kleinere operative Eingriffe.

Handschrift zur Pferdeheilkunde: Behandlung eines Katarrh oder einer Sinusitis

3. Pharmakologische Therapie

Am häufigsten ist die pharmakologische Therapie; überwiegend mit pflanzlichen Heilmitteln. Daneben werden auch Mineralien, Substanzen tierischer Herkunft und Hausmittel der soge-nannten Dreckapotheke verwendet, wie z.B. Wasser, mit dem das Innere von Schuhen ausge-waschen wurde. Die Mittel der Dreckapotheke werden meist gegen Vergiftungen eingesetzt. Kot von Tieren und Urin, vornehmlich Urin von Knaben, dient beispielsweise der Wundbehandlung.

Zu den Pharmaka gehören unter anderem Sandelholz, Asafoetida Stinkasant, Muskat, Moschus moschiferus, ein Sekret der Abdominaldrüse des Moschustieres, Balsamodendron mukul Weihrauchharz, Ammoniumsalz, Aconitum verschiedene Eisenhutarten, Kalamus, Schwefel Sulphur, Myrobalan, Terminalia chebula und Knoblauch Allium sativum.
Die Heilmittel werden auf drei Arten verwendet:

Sie werden entweder einzeln oder als Mixtur verabreicht. Die Zutaten werden dazu in einem großen Steinmörser zerstoßen, mit Wasser aufgekocht und dann als Heiltrank eingeflößt. Oder sie werden ungekocht mit einer Trägersubstanz, wie z.B. chang, dem tibetischen Bier, Wasser, Melasse oder Butter dem Tier oral oder mit einem Klistier verabreicht; letzteres zur Behandlung von Darmerkrankungen.

Äußerliche Wunden oder Schwellungen werden eingesalbt: dazu zerkleinert man die Ingredienzien und verarbeitet sie meist mit Öl, in einigen Fällen auch mit Urin, zu Salben. Der Pferdeheiler reinigt und näht gegebenenfalls die erkrankte oder verwundete Körperstelle und trägt dann die Salbe auf. Eine weitere Methode ist das Auflegen meist heißer Kompressen (dugs). Tharchin, der Pferdearzt des vormaligen Königs von Mustang, behandelt Schwellungen so: Um den geschwollenen Bereich herum brennt er mit einem heißen Eisen ein und lässt das Pferd an der erkrankten Stelle zur Ader. Dies verhindere, dass die Entzündung weiter in den Körper dringt.

Häufig erwähnt wird die Beräucherung entzündeter Körperstellen. Der Heiler zerkleinert die pflanzlichen Zutaten grob, mischt sie und zündet sie in der Nähe des Pferdes an. Daneben verwendet er auch Mittel aus der Dreckapotheke, wie z.B. eine alte Schuhsohle. Er deckt das Pferd zur Beräucherung partiell oder ganz mit einer Decke zu, damit der Rauch in Mund und Nase oder zur erkrankten Körperstelle aufsteigen kann.

Die nachfolgenden Behandlungen werden im Wesentlichen ohne Arzneimittel ausgeführt.

4. Der Aderlass (gtar-ba) Lanzette (gtsag-gu) für den Aderlass

Der Aderlass wurde und wird teilweise auch heute noch in der tibetischen Pferdeheilkunde als eine generell wirksame Therapieform betrachtet und häufig an allen Venen empfohlen. Meistens ließ der Heiler das Pferd an einer Vene in der Nähe der erkrankten Körperstelle bzw. des erkrankten Organs oder an der Halsschlagader, der sogenannten Drosselvene (Vena jugularis) zur Ader, so beispielsweise bei Erkrankungen der fünf Vollorgane (mit Ausnahme der Nieren), bei Vergiftungen oder dem Biss von einer „Wasserratte“ (chu-byi).

Tharchin erklärt die praktische Durchführung des Aderlasses folgendermaßen: er binde die betreffende Körperstelle zuerst mit einem Strick und Holzstöckchen ab, um die Ader zu sichern und damit zu verhindern, dass diese sich hin- und herbewegt. Dann ritze er die Ader mit einer eisernen Lanzette (gtsag-bu) auf. Sei der Blutfluss zu gering, erhitze er einen Stein im Feuer und reibe damit auf der Stelle, an der ein Aderlass vorgenommen werde, um den Blutfluss anzuregen. Am Gaumen verwende er statt der Lanzette eine Nadel aus Fichtenholz (thang-shing), da die Verwendung von Eisen hier schädlich sei.

In der tibetischen Humanmedizin wird der Aderlass bei den Krankheiten empfohlen, die durch Hitze, also durch eine Funktionsstörung von Galle und Blut verursacht werden. Aber dieser theoretische Überbau, also die Unterscheidung von Hitze und Kältekrankheiten z.B., existiert in der Pferdeheilkunde nicht, da diese eher eine Angelegenheit des Praktikers als des Theoretikers ist.

Auch im europäischen Raum war der Aderlass weithin verbreitet, erwähnt wird er unter anderem in der „Mulomedicina Chironis“, einem lateinischen Werk aus der 2. Hälfte des 4. Jh. n. Chr. Dieses, von einem unbekannten Autor mit dem Pseudonym Chiron zusammengestellte Werk – Chiron, der Centaur, ist als Name eines Tierarztes nicht überliefert, sondern der Autor wählte den Namen, um die Bedeutung seines Werkes zu erhöhen – ist eine Kompilation verschiedener griechischer und lateinischer Abhandlungen. Die Heiler nahmen damals an, dass jede Krankheit mit der „gestörten Verdauung“ des Blutes zusammenhänge und eine Erschlaffung des ganzen Körpers bewirke. Daher empfahlen sie den Aderlass früher im europäischen Raum bei fast allen Krankheiten. Die Blutentnahme sollte die Schwellung der Blutgefäße, hervorgerufen durch eine Schwäche des Blutes, und die damit verbundene Spannung beheben.

5. Moxibustion (me-btsa’)

Zwei weitere, sehr oft empfohlene Behandlungsmethoden sind die Moxibustion und Kauterisation; sie basieren auf den gleichen Vorstellungen.

Die Moxibustion oder Moxa ist ein Verfahren der altchinesischen Medizin; der Name leitet sich von dem japanischen Wort mugusa ab, das ist getrocknetes und pulverisiertes Beifußkraut (Artemisia vulgaris). Zylinderförmige Brennkegel (Moxa) aus Heilkräutern, wie etwa aus Beifußkraut, werden hierbei auf der Haut verglimmt, und zwar vornehmlich an den jeweiligen Akupunkturpunkten (gsang). Wie bei der Akupunktur liegt auch hier die Theorie zugrunde, dass eine Erkrankung den Energiefluss in den Meridianen des Körpers stört. Die Meridiane sind Gefäße oder Kanäle, welche die Energie (chines. qi) leiten und somit die Verbindung zwischen den einzelnen Organen und der Körperoberfläche herstellen. Die Moxi¬bustion wirkt auf den Energiefluss, der durch die Erkrankung gestört ist. Nach der tibetischen Humanmedizin sollte sie, im Unterschied zum Aderlass, bei Erkrankungen durch Kälte, also Funktionsstörungen von Wind und Schleim oder bei Epilepsie und Funktionsstörungen der Lymphe durchgeführt werden. Gegenindikation ist eine durch Hitze verursachte Erkrankung.

Bei der medizinischen Behandlung von Pferden wird diese Heilanzeige jedoch nicht immer beachtet. So werden bei einer Lungenerkrankung und der sogenannten gam-Krankheit, die ähn-liche Symptome wie Tetanus aufweist, Aderlass, Kauterisation und Moxibustion empfohlen. 

Dieser Behandlung verwandt ist die mongolische Form der Moxibustion (hor gyi me-btsa´). Dazu wickelt man eine Mixtur aus Kümmel und Öl in ein Tuch, erhitzt sie in Butter und presst sie auf die betreffende Körperstelle. Mit dieser Art Wickel kann eine Darmerkrankung behandelt werden.

6. Kauterisation (me-tshugs)

Die Kauterisation oder Feuerakupunktur, bei der eine Körperstelle mit einem heißen Eisen eingebrannt wird, basiert auf den gleichen Prinzipien. Eine ähnliche Behandlungsmethode wird bereits in dem ältesten Dokument zur Tiermedizin erwähnt, dem Veterinärpapyrus von Kahun aus der Zeit um 1850 v. Chr. Eine Tonscherbe wird im Feuer erhitzt und an die Schläfe eines Rindes gedrückt. Noch heute ist die Einbrennung eine in der traditionellen tibetischen Veterinärmedizin häufig angewandte Therapie, vermutlich auch deshalb, weil sie mit einfachsten Mitteln ausgeführt werden kann. Tshampa Ngawang praktizierte diese Behandlung häufig, auch als reine Vorbeugungsmaßnahme gegen Erkrankungen seiner Pferde. Als während meines Aufenthaltes in Dhumba im Frühjahr 1993 einige Pferde im Halsbereich erkrankt waren – eine genaue Diagnose konnte der Pferdeheiler nicht stellen – setzte er bei seinem noch gesunden Pferd je eine Einbrennung hinter beiden Ohren, eine rechts und links auf dem Nasenrücken sowie eine einzelne auf der äußeren Seite der Oberlippe. Das Pferd zeigte keine Reaktion, es wurde jedoch mit einem Lippenknebel ruhig gehalten und konnte sich nicht rühren. Die Behandlung schien erfolgreich zu sein, denn das Pferd erkrankte nicht. Die Feuerakupunktur können auch Menschen mehr oder weniger unbeschadet überleben, denn mit der gleichen Methode behandelte er seinerzeit seine an Zahnschmerzen leidende Ehefrau: Hierzu wurde ihre Zunge mit einem löffelähnlichen Gerät (me-tel) fixiert. Er brannte dann in den Gaumen, direkt neben dem schmerzenden Zahn ein.

Instrument zur Sicherung der Körperstelle, die eingebrannt wird (me-tel)   Eisen für die Kauterisation (lcags me)

Instrument zur Sicherung der Körperstelle, die eingebrannt wird (me-tel)

 

Eisen für die Kauterisation (lcags me)

 

 Einbrennen an der Schläfengrube (ltag-sgo)   Einbrennen an der Nasenvene (gam-rtsa)

An dieser Stelle seien noch zwei weitere, der Kauterisation verwandte Verfahren zu erwähnen:

a. Im Feuer erhitze man einen Stein, wickele diesen in eine Filzdecke und presse ihn rechts und links des Darms auf den Tierkörper. Dies heile eine bestimmte Darmerkrankung (grang-sbos).

b. Der Pferdeheiler Tharchin behandelt die sogenannte Srin-Krankheit, eine Kältekrankheit, die mit Magen- und Darmschmerzen einhergeht, folgendermaßen: Er rollt einen erhitzten Stab (phon-sang) auf der Innenseite der Ober- und Unterlippe des Pferdes. Das Rollen des erhitzten Stabes soll den Eiterfluss aus der Nase auslösen.

7. Chirurgische Eingriffe

 Chirurgische Eingriffe sind selten und beschränken sich auf Ausnahmefälle. Vor allem bei äußeren Tumoren, Geschwüren oder Schwellungen dienen sie dazu, Eiter oder Ähnliches abzulassen. Hilfsmittel sind eine kleine Lanzette (gtsag-bu) oder ein Stilett (thur-ma), womit in das Geschwür gestochen wird.

Ein etwas tiefergehender Eingriff ist die Trepanation der Stirn- oder Nasennebenhöhle bei der sogenannten dKrad-thom-Erkrankung. Was sich hinter dieser Krankheit verbirgt, ist den Fachleuten bis heute unklar. Die Krankheitssymptome deuten auf Dummkoller, eine Bewusst-seinstörung infolge einer unheilbaren Gehirnerkrankung hin; die Art des vorgenommenen Eingriffs spricht jedoch für einen Katarrh oder eine Sinusitis.

 Die Trepanation der Stirn- oder Nasennebenhöhlen war Mitte des 18. Jhdts. auch im europäischen Raum in Mode und wird auch heute noch in der westlichen Medizin bei einer Entzündung der Nasennebenhöhle oder der oberen Luftwege mit Vereiterung der Luftröhre praktiziert.

8. Andere Heilmethoden

Andere Heilmethoden sind das Bespritzen mit Wasser, das Umkreisen mit Feuer, die Behandlung von „Ähnlichem mit Ähnlichem“ oder das Heilen mit Mantras oder Ritualen.
Bei Herzerkrankungen bespritzt man das Pferd mit kalten Wasser, das den Kreislauf aktiviert sowie eine Abschwellung und ein Zusammenziehen der Blutgefäße bewirkt. Die Körpertemperatur fällt, da an der betreffenden Stelle die Blutfülle abnimmt.
Dieses Verfahren wird schon sehr lange praktiziert und ist auch in der chinesischen Heilkunde bekannt. Zum ersten Mal erwähnt wird es in dem Veterinärpapyrus von Kahun.
Wunden versucht man durch Umkreisen mit Feuer zu heilen. Diese therapeutische Maßnahme – die dem Nichtfachmann dubios erscheinen mag – beruht erfahrungsgemäß auf der reinigenden und desinfizierenden Wirkung des Feuers.

Mit einer Therapie, welcher offensichtlich der Grundsatz „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu kurieren, zugrunde liegt, behandelt man vor allem Bisswunden. Mit einer Arzneimittelmischung, der verbrannte Haare des Hundes, der das Pferd gebissen hat, beigemengt werden, versucht man die Bisswunde eines tollwütigen Hundes zu kurieren. Die Körperstelle, die von der „Wasserratte“ gebissen wurde, wird mit dem Kadaver einer „Wasserratte“ gekratzt. Um Nasenbluten beim Menschen zu stoppen, erhitzt man Nasenblut, und verabreicht es mit Wasser gemischt. Ob diese Vorgehensweisen tatsächlich grundlegende Gedanken der Homöopathie beinhalten ist jedoch fraglich, sie scheinen sich eher an magische Praktiken anzulehnen.

Auch unserem Kulturkreis sind diese Behandlungsformen nicht fremd: In den sogenannten Rossarzneibüchern der deutschen Veterinärliteratur trifft man ebenfalls auf die Vorstellung, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, so im „Rossarzneibuch des Johann Martin Weitzen von Oschitz“ aus dem Jahre 1677. Danach soll man ein Pferd, das an einer Wurmkrankheit erkrankt ist, an einem Freitag vor Sonnenaufgang mit Brot füttern, in dem drei Würmer stecken; dann sterbe der Wurm.

Magische Praktiken, Rituale und Mantras können nach tibetischer Vorstellung auch dazu beitragen, Krankheiten zu heilen. Eine beschriebene Praktik ist die folgende: Man hält einen Spiegel vor das Pferd und bindet ein rotes Seidenband um seine Stirn, eine Maßnahme gegen eine „plötzlich auftretende Krankheit“. Um die gNam-khris-Krankheit zu behandeln, täuscht man vor, auf die Umrisse von Augen zu schießen, die auf einen aufgeblasenen Magen gezeichnet wurden. Die beiden letztgenannten Therapien sind sicherlich in den Bereich des Volksglaubens einzugliedern.

Zum Schluss soll eine besondere Therapieform der traditionellen tibetischen Pferdeheilkunde erwähnt werden, der „Gießkopf“ (lug-mgo). Leidet ein Pferd an einer eitrigen Entzündung am Bauch, mische man Gerstenmehl mit Wasser oder Tee zu einem festen Brei und fertige daraus ein kleines Gefäß. Dies stelle man auf eine bestimmte Körperstelle und gieße zur punktuellen Reizung heißes Öl hinein. Nach Thachin sollte man das Fell des Pferdes mit einer dünnen Filzdecke abdecken, um eine Wundbildung zu verhindern. Mit diesem Heilverfahren, er nannte es einfach „Guss“ (lug-pa), behandele er Harnverhaltungen, die durch Unterkühlung hervorgerufen wurden. Zuvor gebe er mit einem Bambushalm Schnaps bzw. Arak und Ammoniumsalz oder Salmiak (rgya-tshva) in die Harnröhre des Pferdes, um den Harnabsatz, d.h. eine Reaktion der Harnblase, zu stimulieren.

9. Ausblick

Pferde werden in der Praxis nur mit einfachen Heilmethoden therapiert, am häufigsten mit der Kauterisation und der Kaltwasserbehandlung, zwei Behandlungen, die weder großen Aufwand noch Kosten verursachen. Die kostbaren Heilmittel können nicht verfüttert werden, da ein Pferd zu große Mengen an Heilkräutern benötigen würde

Hinzu kommt, dass die Pferdeheiler bereits zur Zeit unserer Forschungsaufenthalte sehr alt waren und kaum Nachwuchs ausbildeten. Die Heiler können, wenn sie nicht gleichzeitig Humanmediziner sind, die Pferdehandbücher nicht selbst lesen, da sie meist Analphabeten sind. Sie praktizieren nur anhand ihrer oral vermittelten Kenntnissen und benutzen ihre Manuskripte nicht als Lernbuch oder Nachschlagewerk. Die einzige Ausnahme hiervon war Sönam Tshering (bSod-nams tshe-ring), ein Pferdeheiler aus Muktinath, der sich die Schriften des Fürsten von Jharkot hat vorlesen lassen und danach gelernt hat. Dies bedeutet letztlich, dass die alten Schriftquellen in absehbarer Zeit nicht mehr verstanden und die traditionelle Pferdeheilkunde über kurz oder lang nicht mehr praktiziert werden wird.

10. Literatur

Petra H. Maurer: Handschriften zur tibetischen Hippiatrie und Hippologie, 2001(= Beiträge zur Zentralasienforschung, Band 8, Results of the Nepal German Project on High Mountain Archaeology, Part V)
Petra Maurer & A. von den Driesch: Tibetan ‹Horse Books› from the High Himalayas. In: S. L. Olsen, S. Grant, A. M. Choyke & L. Bartosiewicz, Horses and Humans: The Evolution of Human-Equine Relationships, S. 355-361. BAR International Series 1560. Oxford 2006
A. von den Driesch, Petra Maurer: Das hilft; das ist gut. Pferdebücher aus dem tibetischen Himalaja. Sudhoffs Archiv 83, 1999, S. 73-108
Anne-Marie Blondeau: Matériaux pour l'étude de l'hippologie et de l'hippiâtrie tibétaines (à partir des manuscrits de Touen-houang). Centre de Recherches d'Histoire et de Philologie, II, Hautes Etudes Orientales 2. Genève 1972

Autorin: Petra H. Maurer, 2010